Warum „ambulant vor stationär“ nicht umgesetzt wurde
Österreichs Spitäler haben viele Betten – und schauen auch, dass sie genutzt werden. Dabei wäre es für alle besser, wenn das nicht die Zielsetzung wäre.
Wie viele Spitalsbetten gibt es, und wie ausgelastet sind diese wirklich? Eine Frage, die Österreich regelmäßig beschäftigt. Besonders wenn über Gangbetten – oder schlimmer – Patient:innen am Boden in Krankenhäusern berichtet wird. Betrachtet man dazu einfach nur die Überschriften, könnte man glauben, es gäbe kaum Krankenhausbetten in Österreich. Dabei liegt Österreich im OECD-Vergleich mit sieben Betten pro 1.000 Einwohner sogar auf Platz vier der „Bettendichte“.
Schwierig wird es nur, wenn man etwas über die Qualität oder Kategorie der Betten sagen will. So war es ja während der Pandemie nicht möglich, bundesweit übereinstimmende Informationen zu erhalten, wo es freie oder belegte Krankenhausbetten nach verschiedenen Kategorien gibt. Grund dafür sind die verschiedenen Formen. Ist es ein Bett, in dem man sich ohne großen Betreuungsaufwand nach einem Beinbruch auskurieren kann? Gibt es einen Herzmonitor? Handelt es sich um ein Intensivbett? Für Kinder oder Erwachsene? Das alles klingt wie eine leichte Aufgabe, doch ein Schlüsselaspekt wird dabei immer vergessen: das Personal. All die Diskussionen über Gangbetten gibt es nämlich fast immer nur, wenn Betten aus Personalgründen gesperrt sind. Denn ein Krankenhausbett – mag die Ausstattung noch so gut sein – bringt immer nur etwas, wenn es auch Personal gibt, um Patient:innen in diesem Bett zu betreuen.
Auch diese Personalfrage ist einer der Gründe, warum es dringend nötig ist, das Motto „ambulant vor stationär“ endlich umzusetzen. Denn wer im Krankenhausbett behandelt wird, kostet das Gesundheitssystem weitaus mehr, als wer nur in einer Arztpraxis behandelt wird. Klarerweise gibt es Unterschiede, was den Behandlungsbedarf angeht, aber in vielen Fällen sind Krankenhausbesuche nicht nötig oder könnten massiv verkürzt werden.
Ein Spital bringt auch Prestige
Früher waren oft einzelne Ortschaften die Betreiber der Krankenhäuser, der sogenannten „Gemeindespitäler“. Nicht nur, weil damit Gesundheitsversorgung geboten wurde – ein Spital war auch ein Statussymbol. Immerhin bedeutete es Arbeitsplätze, und dass die Ortschaft groß und wichtig genug für ein Krankenhaus war.
Mit der Zeit wurde Medizin aber immer spezialisierter und teurer, viele Krankenhäuser wurden in Landes- oder Ordensbetreibergesellschaften zusammengefasst. Anfang der 2000er gab es große Strukturreformen. In mehreren Wellen wurden Krankenhausbetten reduziert und einzelne Spitäler zugesperrt. Das klingt natürlich problematisch, aber: Wer Eingriffe nur selten macht, macht dabei auch Fehler. Deshalb ist es für Patient:innen nicht zielführend, in jedem dritten Ort ein kleines Spital zu haben, das alles machen soll. Eine Geburt kann notfalls auch so geschafft werden, einen gebrochenen Arm kann man halbwegs leicht eingipsen. Aber stellen Sie sich vor, dass jemand nach einem Herzinfarkt bei Ihnen einen hauchdünnen Schlauch durch Ihr Herz schiebt, um die Blutgefäße frei zu machen – und diese Person macht das nur zweimal pro Jahr. Würden Sie das wollen?
Stationär wird gefördert
Zum Zweck der Patient:innensicherheit müsste das System also umgebaut werden, Betten abgebaut und Personal besser verteilt werden. Nur: Landeshauptleute und Bürgermeister:innen finden es besser, wenn sie der Bevölkerung mit einer großen Anzahl von Krankenhäusern ein Gefühl von Sicherheit vermitteln können. Und auch das Abrechnungssystem – das sogenannte LKF-System, das auch im Finanzausgleich verankert ist – bevorzugt in einem gewissen Ausmaß stationäre Eingriffe.
So wurde beispielsweise erst 2019 eine Abrechnung für ambulante Leistungen eingeführt, davor wurden diese pauschal abgegolten. (Eine Erklärung zum damaligen Finanzierungssystem finden Sie hier). Hier hat das österreichische Modell aber noch einmal eine Besonderheit. Denn ambulant ist alles ohne Übernachtung im Krankenhaus. Weil mit dem medizinischen Fortschritt aber immer mehr Eingriffe leichter wurden, kann man beispielsweise eine Meniskusoperation mittlerweile auch ohne Übernachtung im Spital durchführen. Solche Eingriffe wurden aber nicht als ambulant, sondern „tagesklinisch“ bewertet, also einer eigenen Kategorie. Schwierig ist, dass eben ambulante Behandlungen oder Diagnosen, also bei Besuch einer Aufnahmestation oder teilweise auch von Terminambulanzen in Krankenhäusern beispielsweise im Burgenland gar nicht oder in den meisten Bundesländern pauschal bezahlt wurden. Das führte dazu, dass die meisten Krankenhäuser für ihre Ambulanzen, die Notaufnahme etc. bis April oder Mai Geld hatten, danach bedeutete jede:r einzelne Patient:in, der:die wegen beispielsweise Bauchschmerzen ins Krankenhaus kam, ein finanzielles Minus. Also wurden Leute aufgenommen und in ein Bett verfrachtet. Einerseits konnte so gründlich überprüft werden, ob es nicht doch eine schwerwiegende medizinische Ursache gab, und andererseits wurde so Geld mit Patient:innen gemacht.
Obwohl es jetzt eine Abrechnung gibt, werden manche Eingriffe immer noch bevorzugt stationär statt ambulant vorgenommen: zum Nachteil aller. Die Genesung der Patient:innen verläuft nach einem kürzeren Aufenthalt besser als nach einem längeren, das Personal muss mehr Patient:innen in der Nacht betreuen – und die Steuerzahler:innen kostet das alles umso mehr.
Die PVZ – ein Lösungsvorschlag
Nach wie vor ist es eben so, dass die Steuerung im Gesundheitssystem eher schwierig ist. Denn die Artikel über volle Ambulanzen klingen seit Jahren gleich, seit Jahren scheint es unmöglich zu sein, Patient:innen in den niedergelassenen Bereich zu verschieben. Denn wer z.B. genäht wird, könnte die Fäden genauso gut beim Hausarzt gezogen bekommen, wer einen Ausschlag hat, könnte zu einem Hautarzt gehen.
Weil im niedergelassenen Bereich aber auch schon seit Jahren darüber diskutiert wird, wie man mehr Ärzt:innen zu Kassenstellen bringen kann, hat man sich – auch schon vor Jahren – auf „Primärversorgungszentren“ (PVZ) als Lösung geeinigt. Die Patient:innen sollen hier Allgemeinmediziner:innen, Kinderärzt:innen und eben die erste Versorgung von medizinischen Problemen vorfinden. Auch deshalb sind die PVZ nicht nur in Budgetzielen und mit einem eigenen Gesetz verankert, sondern auch Bestandteil des Finanzausgleichs. Im Idealfall kann auch jemand aus Physio- und Psychotherapie in dieser Praxis arbeiten, und gut qualifizierte Pflegekräfte übernehmen Aufgaben, für die nicht unbedingt Ärzt:innen notwendig sind, wie beispielsweise Verbandswechsel. So sollen Krankenhäuser und auch die einzelnen Arztpraxen entlastet werden, auch für Ärzt:innen soll der Job so attraktiver werden, da man nicht mehr dauernd für alles verantwortlich und im Einsatz ist und die Zusammenarbeit flexibler wird – was auch z.B. Teilzeit erleichtert.
Dennoch geht der Ausbau nicht schnell genug voran. Die Zielwerte, wie viele PVZ es gibt, werden seit Jahren verfehlt. Mit Zuschüssen aus dem EU-Wiederaufbaufonds wurde das Ausbautempo etwas erhöht, mit einer Novelle des PVZ soll der Ausbau jetzt wirklich vorangetrieben werden. Ob die Primärversorgungszentren Bestandteil der 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern bleiben werden oder nicht, ist allerdings fraglich. Gemessen an den vorhandenen Forderungen ist aber sogar zu befürchten, dass für die Zentren eine weitere Finanzierungsschiene eingeführt wird, was das Gesundheitssystem noch komplizierter und zersplitterter machen würde.
Vorerst genügt es aber, sich mit den bisherigen Problemen der PVZ auseinander zu setzen. Denn auch diese sind eine unendliche Geschichte und mindestens schon so lange in Diskussion wie in Umsetzung. Auch hier haben aber eben all die Pläne wenig geholfen, denn vorrangig sollten niedergelassene Ärzt:innen mit Kassenvertrag solche Primärversorgungszentren gründen und erst in vielschichtigen Prozessen und mit Genehmigung der Ärztekammer auch andere zugelassen werden, von anderen Eigentümern als Ärzt:innen war bisher noch keine Rede. Mit der jetzigen Novelle will Gesundheitsminister Johannes Rauch den Einfluss der Kammer auf die Primärversorgungszentren zurückdrängen – fraglich wird, ob das gelingt.
Denn neben einem Ausbau ambulanter Behandlungsmöglichkeiten wird es für „ambulant vor stationär“ vor allem eines brauchen: die Patient:innen. Solange die immer noch ins Krankenhaus gehen, um dort zu warten, wird der Versuch des Bettenabbaus weiter scheitern. Egal wie oft man das Mantra festschreibt.