Gerhard Roiss: „Diese Hinwendung zu Russland war unverantwortlich“
Mittlerweile hat es sich wahrscheinlich rumgesprochen: Die hohen Preise liegen auch an den hohen Kosten für Energie. Das betrifft nicht nur, aber besonders Österreich – immerhin haben nicht nur die Regierungen der Vergangenheit, sondern auch die teilstaatliche OMV fleißig an der Abhängigkeit von russischem Gas gearbeitet. Während in Staaten, die von Putin unabhängig sind, die Energiepreise sinken, bleibt die Inflation hierzulande hoch: Eine späte Folge aus Jahren der Russland-Politik.
Vor diesem pro-russischen Schwenk in der Energiepolitik war Gerhard Roiss Vorstandsvorsitzender der OMV. Damals setzte er sich für mehr als einen Anbieter am Energiemarkt ein, also gegen die Abhängigkeit von Russland. Heute warnt er vor einem Gasstopp aus Russland Ende 2024 – und gibt Empfehlungen, wie die Politik mit dieser heiklen energiepolitischen Situation umgehen sollte.
Sie haben vor Kurzem öffentlich gemacht, dass ab Ende 2024 kein russisches Gas mehr nach Österreich fließen wird. Woher wissen Sie das?
Aus einem Gespräch mit dem stellvertretenden ukrainischen Energieminister. Ich habe die Frage gestellt, ob der Gasliefervertrag durch die Ukraine für russisches Gas, der 2024 ausläuft, verlängert wird. Da war die klare Antwort, dass er nicht verlängert wird. Das war auch absehbar: Die Ukraine nimmt durch Transportrechte viele hunderte Millionen ein, aber gleichzeitig finanziert sie Russland mit ca. 40 Milliarden durch die Verkäufe von Gas, das durch diese Leitungen läuft. Die fragen sich zurecht, wieso sie zusehen sollen, wenn durch ihre Leitungen dieser Krieg finanziert wird.
Wie reagiert Österreich jetzt darauf?
Es hat direkt die Reaktion gegeben, dass man auch über 2024 hinaus Gas buchen kann, auch wenn es den Vertrag nicht gibt. Dazu sage ich: Buchen kannst du immer. Du kannst auch einen Flug buchen, aber wenn es am Flughafen kein Flugzeug gibt, wird der auch nicht stattfinden. Es ist fahrlässig, so zu agieren – wir müssen uns dem Risiko bewusst sein, dass ab 2024 kein Gas mehr kommt, und nicht die Augen verschließen.
Sie haben bei einer Diskussionsveranstaltung gesagt, dass Sie von der Regierung Krisenmanagement vermissen. Was stellen Sie sich darunter vor, was würden Sie empfehlen?
Krisenmanagement heißt, dass ich davon ausgehen muss, dass Unvorhergesehenes eintritt. Wir haben ja ein Marktversagen: Wenn der Preis um das Zehnfache steigt, funktioniert Angebot und Nachfrage nicht richtig. Damit können weder die Haushalte kalkulieren, noch die Industrie. Da muss der Staat planerisch einkaufen. Das ist Risikomanagement: Vorzusorgen, dass diese Knappheit nicht wieder passiert. Wenn ich die Möglichkeiten habe, weil genug Gas in der Welt vorhanden ist, muss ich das auch tun. Das heißt Transportkapazitäten sichern, die Lager bewirtschaften. Im Wunschdenken zu bleiben, dass eh nichts eintritt, wäre fahrlässig.
Meinen Sie das, wenn Sie der Bundesregierung Ignoranz vorwerfen?
Es gibt eine Ignoranz des Risikos, das eintreten kann. Und eine Ignoranz der Verantwortung den Menschen gegenüber. 800.000 Haushalte heizen mit Gas, die Industrie muss wettbewerbsfähig sein. Das alles ist gefährdet.
Gerhard Roiss bei einer Podiumsdiskussion zum Thema: „Wie kommen wir weg von der Gazprom?“
Jetzt hätte man wahrscheinlich nach einem Jahr Krieg wahrscheinlich schon viel tun können. Wie wirkt sich die aktuelle Energiepolitik auf unsere Versorgungssicherheit aus?
Man muss da zwischen kurz- und mittelfristigen Maßnahmen unterscheiden. Kurzfristig sind die Lager gut gefüllt, zu 80 Prozent. Wir kommen wohl gut über den nächsten Winter. Mittelfristig wird es problematisch, wenn kein Gas mehr aus Russland kommt und die Transportkapazitäten nicht ausgebaut werden. Wenn wir das heute beschließen, können wir das in zwölf Monaten hinkriegen. Deutschland hat sieben Jahre gebraucht, um ein Terminal zu bauen – als sie dann gewusst haben, dass es dringend ist, hat es sechs Monate gedauert. Das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis.
Wie haben Sie diese russlandfreundliche Energiepolitik in der OMV wahrgenommen?
2008 hat Russland schon einmal einige Wochen nicht geliefert. Das war der Auslöser für mich, zu sagen, wir müssen uns Alternativen überlegen. Das war für mich der Kauf der norwegischen Felder, für die wir drei Milliarden investiert haben – das haben die Kapitalmärkte nicht goutiert. Ich habe das gemacht, weil ich es für richtig gehalten habe. Das war aber auch das rumänische Gasfeld im Schwarzen Meer, das nach meinem Abgang nicht mehr gefördert wurde. Jetzt ist die Entscheidung gefallen, das zu tun, in vier Jahren werden wir Gas von dort beziehen. Meine Linie waren drei Drittel: Eines aus Norwegen, eines aus Rumänien und eines kombiniert aus Russland und eigener Förderung aus Österreich. Nach meinem Abgang hat man diese Strategie geändert.
Wie erklären Sie sich diesen Strategiewechsel in Richtung Russland?
Das möchte ich nicht kommentieren. Man kennt die Bilder, die Fotos, das ist alles nachvollziehbar. Diese Hinwendung zu Russland, diese Abhängigkeit war unverantwortlich.
Nicht nur wegen Russland muss sich die OMV ja anders aufstellen, wahrscheinlich die gesamte Energiewirtschaft. Dazu gab es Überlegungen, mehr in Richtung „Chemiekonzern“ zu gehen. Wie läuft denn diese Transformation?
Das sind OMV-Interna, die ich nicht kommentieren will. Mir ist es bei meiner Aussage um Gas gegangen, da ich selbst damals das norwegische Gas akquiriert habe. Daher habe ich mich zu Wort gemeldet und gesagt, bei der OMV ist auch der Staat beteiligt – daher habe ich auch eine Verantwortung, das zu sagen.
Viele Konzerne, die mit fossilen Brennstoffen ihr Geld machen, wussten ja sehr früh von den Folgen des Klimawandels. Wie war das während Ihrer Zeit in der Branche?
Ich habe mich damals sehr intensiv damit beschäftigt und wollte die OMV zum Wasserstoff-Konzern entwickeln. Das würde ich übrigens heute noch machen. Auch bei der Pariser Klimakonferenz habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt, aber hatte dann keine Möglichkeit mehr. Auch nach meiner OMV-Karriere habe ich mich mit dieser neuen Welt beschäftigt und in Start-ups investiert, z.B. im Bereich Batterien.
Und wie ist das in der OMV angekommen?
Das habe ich damals mit meinem Strategie-Team besprochen. Der große Konzern ist bei solchen Themen sehr schwierig – muss man das außerhalb machen, muss man dafür in Think Tanks gehen, das waren die Fragen, die uns damals beschäftigt haben. Aber diese Überlegungen waren nicht Teil der OMV-Strategie, da haben wir uns noch stark mit Gas beschäftigt. Aber die ersten Wasserstoff-Tankstellen, Untersuchungen zu Geothermie oder der Fokus auf langfristige fossile Produkte wie Kunststoff, das haben wir gemacht.
Ein Argument, das immer wieder vorkommt: Das russische Gas ist ja so billig. Können Sie das bestätigen?
Diese Aussage ist ein Blödsinn und wurde mittlerweile vielfach widerlegt. Es hat Phasen gegeben, in denen das Gas an den Ölpreis gekoppelt war, da war es natürlich billiger. Nach der Liberalisierung der Preise war es auch kurzfristig billig – aber wir waren mit russischem Gas auch oft über dem Marktpreis. Es hat also Phasen gegeben, in denen es billiger war, aber auch Phasen, in denen es teurer war. Der Mythos vom billigen russischen Gas ist aber ein Blödsinn.
Kommen wir zurück zu Ihrer Warnung zum Gasstopp: Haben Sie eigentlich mit dem Bundesministerium gesprochen, bevor Sie das öffentlich gemacht haben?
Ich wurde schon vor einem Jahr vom Minister Brunner gebeten, Vorschläge vorzulegen. Es wurde nur nichts davon umgesetzt. Auch Ministerin Gewessler hat mich darum gebeten, gemeinsam mit dem Kollegen Boltz. Ich unterscheide da nicht nach Partei, die Empfehlungen sind dieselben. Ich habe auch einen Brief an die verschiedenen Ministerien geschrieben.
Und was sind diese Empfehlungen? Dass der Staat diversifizieren muss?
Ja, aber nicht nur. Es geht auch um Haftungen. Wenn Sie z.B. Pipeline-Kapazitäten steigern, müssen Sie hohe Preise zahlen für etwas, das Sie vielleicht nicht brauchen. Eine strategische Reserve ist da ähnlich. Das ist Risikomanagement. Das Thema ist aber nicht, dass man das Geld nicht hat, sondern dass keiner das Risiko übernehmen will – das ist eine heiße Kartoffel. Man kann doch Lösungen suchen, indem man einige aus der OMV herausnimmt und deren Know-how anzapft. Da braucht man Leute, die das schon 10, 15 oder 20 Jahre gemacht haben.
Wenn Sie jetzt vom aktuellen Status Quo ausgehen: Wie sehen Sie die mittelfristige energiepolitische Situation in Österreich? Die Industrie braucht ja nicht nur noch ein Jahr Gas, sondern die Energiewende braucht ein bisschen. Was bedeutet das für unseren Wohlstand?
Europa hat energiepolitische Nachteile. Die USA fördern das, wir nicht – darum kaufen wir Flüssiggas, das in Amerika produziert wird. Der Wohlstand in Europa wird tendenziell nach unten gehen und nicht nach oben. Aber jetzt geht es primär um Versorgungssicherheit: Wenn wir die nicht haben, schießen die Energiepreise wieder nach oben. Wir brauchen Preisstabilität. Wenn man nichts dafür tut, ist das sehr riskant.
Und wie wirken sich die aktuellen Vorkommnisse in Russland darauf aus? Haben die inner-russischen Konflikte auch Auswirkungen auf Gazprom?
Gazprom war immer mit Putin-nahen Menschen besetzt, es ist ein „Staat im Staat“. Ich gehe davon aus, dass sie mit der russischen Regierung eng abgestimmt sind. Richtung Gaslieferungen sehe ich da keine Auswirkungen.