Österreichs energiepolitische Schockstarre
Österreich hat sich in den vergangenen zehn Jahren, während andere Staaten bereits Schritte in die Gegenrichtung unternommen haben, von russischem Gas bewusst noch stärker abhängig gemacht. Die Ausgangslage war denkbar schlecht, als Russland bereits 2021 durch eine eskalierende Rhetorik begann, den Gaspreis in die Höhe zu treiben, während die von Russland systematisch aufgekauften Gasspeicher in Europa vor dem Winter leer blieben. Putin ging anscheinend davon aus, dass eine schnelle Besetzung der Ukraine durch russische Truppen inklusive Regimewechsel und Satellitenstatus wie bei Belarus den Westen unvorbereitet treffen würde – und das Druckmittel Gas, ähnlich wie davor bei Georgien und der Krim, den Enthusiasmus für harte Sanktionen dämpfen würde.
Doch der von nahezu allen Beobachter:innen unerwartet beherzte Widerstand der ukrainischen Regierung, Bevölkerung und Armee machten Putin einen Strich durch die Rechnung und legten schonungslos strategische und taktische Schwächen einer auf ernsten Widerstand anscheinend komplett unvorbereiteten russischen Armee offen. Der 24. Februar ging als erster Tag eines vollkommen eskalierten, zähen konventionellen Krieges in die Geschichte ein und hat in den ersten Monaten bereits unfassbares Leid verursacht. Zahllose Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. Er stellt aber auch einen Paradigmenwechsel in der Energie-, Außen- und Geopolitik dar.
Die österreichische Bundesregierung befindet sich seit Kriegsausbruch in einer Mischung aus Schockstarre, Widersprüchen, Beruhigungsrhetorik und Untätigkeit, welche im europäischen Vergleich nahezu grotesk anmutet. Sie stimmte schnell in den europäischen Solidaritätschor für die Ukraine ein, während sie gleichzeitig die eigene Neutralität betonte. Kanzler Nehammer besuchte Kiew und überhäufte die Regierung mit Solidaritätsgesten, um gleich darauf als erster EU-Regierungschef nach Moskau zu reisen. Russischen Medien zufolge, die den Besuch für ihre eigene Propaganda nutzten, wurde dabei auch über Gaslieferungen gesprochen.
Die horrende Abhängigkeit vom russischen Gas wurde zum omnipräsenten Damoklesschwert, welches bei jeder Pressekonferenz betont und gleichzeitig kleingeredet wurde, ohne konkrete Maßnahmen dagegen vorzulegen. Während halb Europa innerhalb weniger Wochen aus russischem Gas ausstieg oder konkrete Schritte in diese Richtung setzte, wurde im März 2022 vonseiten der Bundesregierung vor allem „genau beobachtet“, „geprüft“ und darauf verwiesen, dass man ohnehin langfristig auf Erneuerbare setzen müsse. Vorstöße von NGOs oder der Opposition wurden kommentarlos abgelehnt.
Besonders absurd wirkte der medial groß inszenierte Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Qatar, welcher laut damaliger Rohstoffministerin ein „Meilenstein für Österreich in Richtung Unabhängigkeit von russischem Gas“ sei, wobei die Regierung aber dann in einer Reihe von parlamentarischen Anfragebeantwortungen zugeben musste, dass Flüssiggas überhaupt kein Thema gewesen war.
Erst ab April und Mai wurden halbherzige Maßnahmen gesetzt: Eine strategische Gasreserve wurde geschaffen, eine Anpassung des Energielenkungsgesetzes wurde vorgelegt, und eine De-facto-Beschlagnahmung des für Deutschland genutzten Gasspeichers der Gazprom in Haidach wurde in die Wege geleitet. Das Kernproblem ist und bleibt allerdings die über Jahre aufgebaute infrastrukturell einzementierte Abhängigkeit von Russland.
Ohne massive europäische Koordinierung und neue Lieferverträge der OMV in den ungünstigsten Marktbedingungen ist eine Diversifizierung der Erdgasversorgung kurzfristig genauso unmöglich wie eine nennenswerte Steigerung der heimischen Erdgasförderung oder Biogasproduktion. Auch Verbrauchsreduktionen sind kurzfristig schwierig: Thermische Sanierungen, Gerätetausch, Umstellung von Industrieprozessen oder eine Elektrifizierung mittels erneuerbarer Energien litten schon vor dem Krieg an schleppenden Verfahren, Fachkräftemangel und mangelndem politischem Willen. Aber anstatt hier mit der gebotenen Dringlichkeit vorzugehen, fehlen bisher sowohl für kurzfristige als auch langfristige Maßnahmen konkrete Pläne.
Die Gründe für dieses andauernde Versagen sind komplex und nicht auf reinen Unwillen zurückzuführen. Natürlich, dieselben Kräfte innerhalb der ÖVP und der ihr nahestehenden Wirtschaftskammer, welche an der Abhängigkeit von Russland rege beteiligt waren und dementsprechend für eine Reihe von wirtschaftlichen und infrastrukturellen Lock-in-Effekten und entsprechende Milliardeninvestitionen mitverantwortlich sind, verteidigen auf Biegen und Brechen ihr liebgewonnenes System auf Basis von russischem Erdgas, mit dem vagen Verweis auf vollkommen illusorische Biogaskapazitäten, die irgendwann in der Zukunft ein Ersatz sein sollen. Die Grünen wiederum sind aus klimapolitischen Überlegungen gegenüber Investitionen in neue Gasinfrastrukturen oder Lieferverträge gelinde gesagt skeptisch, obwohl erneuerbare Alternativen oder Verbrauchsreduktionen ohne massive Kosten oder Einbußen kurzfristig unmöglich sind. Gleichzeitig behindert eine Mischung aus Interessenvertretern, föderalistischen Partikularinteressen, Bürokratie und Fachkräftemangel einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren.
Auch die dringend notwendige Aufarbeitung der prorussischen Entwicklung der OMV scheitert an einer Mischung an eigentlich unerklärlichem medialem und öffentlichem Desinteresse und der Tatsache, dass Regierungen mit Beteiligung aller drei großen Parteien daran mitgewirkt haben. Eine schonungslose Aufarbeitung käme ÖVP, SPÖ und FPÖ fast gleichermaßen ungelegen: Parlamentarische Anfragen wurden dementsprechend von den Ministerien nicht beantwortet, die Zuständigkeiten werden in der Regel an andere Stellen abgeschoben. Auch Forderungen zur Einsetzung eines U-Ausschusses wurden mit demonstrativem Schweigen quittiert. Medial kolportierte Chatverläufe, journalistische Enthüllungen und die Tatsache, dass dem damaligen OMV-Chef Rainer Seele bei der Hauptversammlung die Entlassung verwehrt wurde, lassen erahnen: Da wird noch einiges ans Tageslicht kommen.