Aufrüsten, Nachrüsten, Umrüsten
Nach Jahren des Sparens steht dem Bundesheer ein Budgetsegen ins Haus: Der Finanzminister wird über den Finanzrahmen 2023–2026 fürs Verteidigungsbudget knapp 16 Milliarden Euro mehr locker machen, als noch vor der russischen Aggression in der Ukraine geplant war. Das entspricht etwa einem Prozent des geschätzten BIP von 2026.
Es entspricht außerdem in etwa der Summe, die der Verteidigungsminister der Beamtenregierung und jetzige Adjutant des Bundespräsidenten, Thomas Starlinger, in seinem Bericht zum Zustand des Heeres als Fehlsumme beziffert hatte. Und Baustellen gibt es genug: Von modrigen Kasernen zu fehlenden Schutzwesten oder nicht ans Terrain adaptierten Schuhen für Auslandseinsätze, von mangelnder geschützter Mobilität – also gepanzerten Truppenfahrzeugen – zur Militärmedizin. All diese Dinge kann man sofort mit zusätzlichen Budgetmitteln angehen. Und es ist anzuerkennen, dass die Verteidigungsministerin, Klaudia Tanner, diese Problemfelder auch bereits identifiziert und in Angriff genommen hat.
Aber es gibt eben auch die mittlerweile sprichwörtliche Gießkanne: Zusätzlich zu den unstrittigen Problemfeldern wird auch heftig für strategischere Waffensysteme geplant. Die Abfangjäger sollen ebenso ein teures System-Upgrade erhalten wie die schweren Panzer. Alle Waffengattungen bekommen etwas, denn es wurde ja in den vergangenen Jahren auch überall eingespart. Niemand soll leer ausgehen – auch wenn auf Anfrage im Ministerium in vielen Fragen noch nicht ganz klar ist, was genau eigentlich angeschafft werden soll.
Verschlafenes Thema Russland
Eigentlich würde es einen Plan benötigen, um das neue Budget zielgerichtet nach Prioritäten einsetzen zu können. Einen solchen Plan, die Österreichische Sicherheitsstrategie (ÖSS), gibt es auch, sie ist jedoch veraltet. Erarbeitet im Jahr 2011 und verabschiedet im Jahr 2013, sollte sie das Bundesheer in die nächste Dekade begleiten.
Die Dekade neigt sich dem Ende zu; noch schlimmer aber ist, dass die Welt 2014 eine Zeitenwende erfahren hat – wenngleich diese auch verschlafen wurde. Russland marschierte in der Ukraine ein und annektierte die Krim. Ein Eroberungskrieg, der auch dadurch, dass die Ukraine nicht die militärischen Fähigkeiten hatte, ihn fürs internationale Fernsehen blutig zu gestalten, um nichts besser oder weniger völkerrechtswidrig wird. Die unmittelbar darauf folgende Intervention im Donbass mit zehntausend Toten wurde im Westen ebenfalls als interne Angelegenheit, die man diplomatisch lösen muss, abgetan. Russisches Gas war billig, die Wirtschaft brummte. Da hätten harte Sanktionen nicht ins Bild gepasst.
Dass Russland in der ÖSS von 2013 als „verlässlicher Partner“ in der europäischen Sicherheitsstrategie beschrieben wurde, hätte aber die Alarmglocken schrillen lassen müssen. Dass das jährliche, von den Analysten des Verteidigungsministeriums erstellte Risikobild von 25 Risiken im Jahr 2020 auf über 70 im Jahr 2023 erweitert wurde, sollte auch zu denken geben. Ein Bundesheer, ausgerüstet auf Basis der Ableitungen aus der Sicherheitsstrategie 2013, ist nicht die beste Garantie für Österreichs Sicherheit – und auch nicht für die beste Verwendung von vielen Milliarden an Steuergeld.
Nachrüsten für das Heer von vorgestern?
Vielerorts wird daher eine neue ÖSS verlangt. Sicherlich wissen die Analysten in der Rossauer Kaserne, was sie brauchen, da sie schon lange nicht mehr den verstaubten Text der ÖSS 2013 zurate ziehen. Aber Verteidigungsstrategie ist nicht nur Analyse – sondern auch Politik, Narrativ und Überzeugungsarbeit.
Der Bundeskanzler, ein ehemaliger Offizier, erklärt, Österreich sei sicher, weil es neutral sei. Und weil man nicht als Kriegstreiber dastehen will, lautet das Narrativ, die 16 Milliarden Euro dienten „nicht zum Aufrüsten, sondern zum Nachrüsten.“
Nachrüsten jedoch bedeutet, genau das Heer wiederherzustellen, das aufgrund der budgetären Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte ausgehöhlt wurde. Dieses Heer basiert auf den Annahmen der ÖSS von 2013 – mit Russland als unserem Sicherheitspartner. Dieses Heer der Vergangenheit durch „Nachrüsten“ endlich in vollem Glanz aufzubauen, sollte nicht das Ziel des Verteidigungsministeriums sein.
Es bedarf keines Auf- oder Nachrüstens, sondern eines Umrüstens, das einem Umdenken folgt. Eine neue ÖSS, erarbeitet auf Basis der Bedrohungen von heute, nicht aus dem Jahrzehnt vor 2013. Eine ÖSS, die Österreich gegen diese Bedrohungen verteidigt. Und das im geopolitischen Umfeld von 2023 und weiter in die Zukunft.
Was eine Sicherheitsstrategie zu leisten hätte
Diese ÖSS muss den Mut aufbringen, den Menschen zu erklären, dass Russland kein Freund ist, die Welt komplexer und gefährlicher geworden ist, dass uns die Neutralität nie geschützt hat und auch niemals schützen wird, und dass ein kleines Land wie Österreich sich nie alleine verteidigen können wird.
Darauf aufbauend können wir dann die Entscheidungen für die Zukunft treffen. Wollen wir überhaupt ein Bundesheer? Oder verlassen wir uns darauf, dass kein Feind durch den Schutzwall aus NATO und EU-Staaten bis zu uns durchdringen kann? Wir könnten dann auf schwere Waffen vollständig verzichten und unser Verteidigungsbudget in Inlandsaufgaben stecken: Schutz der Infrastruktur, Cyberdefense, Abwehr von Terrorismus, Katastrophenschutz und die Pistenpräparierung auf der Streif. Wir wären Trittbrettfahrer – aber das sind wir heute auch.
Wir könnten auch in eine Armee investieren, die Österreichs Sicherheit zusammen mit unseren europäischen Partnern garantiert. Diese Armee würde nicht weniger kosten, aber anders aussehen als die, die wir für momentan die fiktive Verteidigung unserer Grenzen gegen keinen realistischen Feind finanzieren.