Außenpolitik, bitte aufwachen!
Österreichs Außenpolitik ist im Dämmerschlaf. Weil die Neutralität zum heimischen Selbstverständnis gehört wie das Schnitzel, traut sich kaum jemand, Fragen der internationalen Politik seriös zu diskutieren. Während der deutsche Kanzler Olaf Scholz die „Zeitenwende“ ausrief, kündigte Karl Nehammer eine neue Sicherheitsstrategie an – für 2030.
Dabei ist Deutschland selbst kein glänzendes Beispiel für ambitionierte Außenpolitik: Auch dort haben die Regierungen der letzten Jahrzehnte die fatale Abhängigkeit von russischem Gas verschlafen, auch dort sitzen einige Putin-Freunde in hohen Parteiämtern und Aufsichtsräten von Konzernen. Dazu kommt, dass in der DDR mehr als eine Generation mit „Ami go home“ indoktriniert wurde, die Ablehnung jedweder Rüstung ist dort für viele zum Grundsatz geworden. Gerade deshalb ist es so beeindruckend, dass die neue Sicherheitsstrategie in eine so positive Richtung geht.
In dieser Sicherheitsstrategie steht nämlich vieles drin, wozu sich auch Österreich bekennen sollte. Zum Beispiel hält dieses Dokument fest, dass sich Deutschland auch sicherheitspolitisch stärker einbringen will, sei es im Rahmen der EU, der UNO oder der NATO. Letzteres hätte in Österreich vielleicht keine Mehrheit – aber auch für uns gilt Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags, der eine Beistandspflicht festschreibt.
Unser Nachbarstaat vertritt dabei ein Verständnis von „integrierter Sicherheit“ und stellt fest, dass auch nichtmilitärische Themen Sicherheitsthemen sein können. Der Schutz kritischer Infrastruktur, das Verhindern der nächsten Pandemie, energiepolitische Diversifizierung und ambitionierte Klimapolitik werden als Maßnahmen der nationalen Sicherheit erkannt. Eine Erkenntnis, die in der österreichischen verteidigungspolitischen Bubble schon längst angekommen ist (etwa beim Ex-Brigadier Walter Feichtinger) – aber eben noch nicht in einer Strategie umgesetzt wird.
Die meisten Inhalte der deutschen Sicherheitsstrategie wären problemlos mit der Neutralität vereinbar. Sie bedeutet immerhin nur, keine Kriege zu führen und keine fremden Armeestützpunkte auf eigenem Territorium zuzulassen. Zivile Minenräumung in Kriegsgebieten, die zuletzt diskutiert wurde, wäre da gar kein Problem – genau wie eine Außenpolitik, die ihren Namen verdient, und Verbündete und Gegenspieler klar benennt.
In Österreich wirkt nicht nur der Inhalt der deutschen Strategie beeindruckend: Es fehlt schon ganz grundlegend eine Debatte. Außenpolitik ist historisch ein Sprungbrett, um mit schönen Bildern und starken Ansagen bekannt zu werden, die bei unseren Partnern Achselzucken oder Kopfschütteln auslösen. Das geht von der innenpolitisch motivierten Opposition gegen Freihandelsabkommen bis zur Schengen-Blockade. Der Diskurs im Parlament zeigt ein ähnliches Bild: Während Mitglieder der Bundesregierung in ihren Reden verantwortungsvoll wirken wollen, werden in den Ausschüssen sämtliche Anträge vertragt.
Feigheit dominiert die Außenpolitik
Aber in Wirklichkeit ist es gar kein rechtliches Problem, das Österreich von einer aktiven Außenpolitik abhält. Sondern ein politisches. Solange sich die großen Parteien vor dem Wahlvolk fürchten, verhält sich die Republik wie ein Fähnchen im Wind: Es war Österreich, das sich von Putins Gas abhängig gemacht hat, als verbündete Geheimdienste schon lange davor warnten. Es war Österreich, das Rumänien und Bulgarien aus innenpolitischem Kalkül die Teilnahme am Schengen-Raum verweigerte. Es ist Österreich, das sich nicht sicher ist, wie nahe es Viktor Orbán sein will, und das im außenpolitischen Diskurs – im realistischen, faktenbasierten Diskurs, der vor allem außerhalb des Landes geführt wird – regelmäßig als peinliches Beispiel auffällt.
Genau darum ist es so wichtig, eine Sicherheitsstrategie zu haben. Ein Dokument, das nicht nur definiert, was eigentlich österreichische Interessen sind, sondern auch klare Antworten auf die Frage gibt, wie ein kleines Land in Mitteleuropa in der großen Welt wieder wehrhaft wird. Indem wir auf unsere Bündnispartner Rücksicht nehmen, das Bundesheer wieder ernst nehmen und auch das Klimathema endlich als Angelegenheit der nationalen Sicherheit betrachten. Dabei sollte uns nicht die Angst vor der nächsten Umfrage als Beispiel dienen – sondern Deutschland, das auch endlich aus dem außenpolitischen Dämmerschlaf aufgewacht ist.
Die Fehler unserer außenpolitischen Vergangenheit bezahlen wir nicht nur in Form schlechter Beziehungen zu unseren Verbündeten, sondern auch mit hohen Energiekosten, die maßgeblich die Inflation anheizen. Um diese Fehler nicht zu wiederholen und in Zukunft viel eher die Vorteile einer verantwortungsvollen Außenpolitik zu genießen, müssten wir jetzt anfangen. Aber dafür braucht es Mut – und der ist in der heimischen Außenpolitik Mangelware.