Die ungewöhnliche Fraktionsführung des Andreas Hanger
Angenommen, Sie müssten sich für einen „Polit-Job“ entscheiden: Welcher wäre es? Bundespräsidentin, weil gut bezahlt für eine angenehme Rolle? Bundeskanzler, weil maximaler Einfluss? Oder vielleicht Landeshauptmann bzw. Landeshauptfrau, weil wirklich maximaler Einfluss?
Das alles wären gute Ideen, aber es gibt einen Mann in Österreich, der einen besseren Polit-Job hat als alle anderen: Andreas Hanger, Nationalratsabgeordneter der ÖVP.
An ihm hängt die Arbeit als Fraktionsführer der Volkspartei in gleich zwei U-Ausschüssen: dem zum Thema „Rot-blauer Machtmissbrauch“, den die ÖVP selbst eingesetzt hat, und dem COFAG-U-Ausschuss. Das klingt nach viel Arbeit und viel Verantwortung. Aber Andreas Hanger lässt sich davon nicht unterkriegen: ganz im Gegenteil.
Denn wer Hanger zuhört, findet nicht den klassischen U-Ausschuss-Kritiker vor, der sich vor allem in die Unterlagen vertieft hat und der Aufklärung verpflichtet ist. Man findet auch keinen stillen Beobachter, der anderen eine Bühne bietet, um sich mit Fragen zum eigenen Themenbereich zu inszenieren. Überhaupt sieht das, was Hanger im U-Ausschuss macht, gar nicht anstrengend aus. Er ist hier nicht in der Arbeit – er spielt ein Spiel.
Hanger macht sich bemerkbar, aber nicht mit Fragen, sondern mit allem anderen. Beispiel: Ein FPÖ-Abgeordneter befragt die Rechnungshof-Präsidentin. Dabei erwähnt er unter anderem die Inseratenvergabe der türkis-grünen Bundesregierung. Hanger ergreift das Wort. Aber er meldet sich nicht ordnungsgemäß zur Geschäftsordnung – noch nicht. Was er sagt, reicht für einen Zwischenruf, so kurz, dass man kaum Zeit hat, sich zu beschweren:
„Das ist ja peinlich!“
Andreas Hanger wirkt selbst überrascht, das „peinlich“ betont er fast wie eine Frage. Ein Zwischenruf, den er noch öfter wiederholen wird: Peinlich sei das, was der Abgeordnete der FPÖ aufführe. Immerhin sei völlig logisch, dass seine Fragen nicht zum Untersuchungsgegenstand passen würden. Ein Untersuchungsgegenstand, den Hanger und die ÖVP selbst formuliert haben, und zwar möglichst vage. Kurz gesagt geht es um „alles, was Rot oder Blau schaden könnte“.
Noch bevor der FPÖ-Abgeordnete herausfinden kann, ob die Rechnungshof-Präsidentin „Wahrnehmungen“ zu seiner Frage hat, folgt doch die Geschäftsordnungs-Debatte. Hanger erklärt, dass die Frage unpassend sei, und holt zum Seitenhieb aus: „Holts den Hafi zurück!“, gemeint ist FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker, „der hat wenigstens den Untersuchungsgegenstand gelesen.“ Als „Hafi“ dann wirklich zurück ist und Hanger mit einem Zwischenruf Konter gibt, schaltet Hanger sein Mikrofon ein und fragt pampig: „Samma fertig, Hafi? Oder willst ma was sagen?“ Wenn man es nicht besser wissen würde, könnte man meinen, Hanger sei ein Vollprofi. Ein Vollprofi, dessen Kernkompetenz es ist, nach unten zu treten.
Aber ist er es auch? Formal wahrscheinlich schon. Immerhin hat es die ÖVP geschafft, einen Art „Rache-Ausschuss“ gegen SPÖ und FPÖ zu schaffen, der ihr im Wahljahr helfen wird – so zumindest das Kalkül. Und auch sein Image aus den letzten U-Ausschüssen, als er die Befragung von Parteifreunden sabotierte, legt er ab. Als er im COFAG-U-Ausschuss eine Frage zur Geschäftsordnung bringt, merkt er an: „Wir lassen ja wirklich alles zu.“
Ein Schlüsselsatz im Weltbild der ÖVP. Denn in den letzten Jahren fiel die Partei vor allem damit auf, die Untersuchung zu blockieren. Mit Stehungen, Geschäftsordnungsdebatten und Pseudo-Fragestellungen versteht sie perfekt, wie man verhindern kann, dass ein U-Ausschuss zu neuen Erkenntnissen kommt. Alleine das Spiel mit der Zeit, das Auslaugen der Fragenden bis in die späten Abendstunden, ist Hangers Kernkompetenz. Seinen Verzicht darauf sieht er nicht als normale Umgangsformen – sondern als Entgegenkommen. Was Hanger wiederum gerne als Schmäh verpackt:
„Ich bin großzügig. Lass ma zu.“
Mittlerweile sind es andere, die Hangers unangenehme Aufgaben aus den letzten U-Ausschüssen übernehmen. Peter Weidinger etwa formuliert seine Fragen besonders offen und lässt dann im Protokoll notieren, dass sich Reiche keine bessere Behandlung in Österreich kaufen können. Abgeordneter Klaus Fürlinger dagegen hat anscheinend die Aufgabe, immer dann eine Geschäftsordnungsdebatte anzuzetteln, wenn der Name „Stefan Pierer“ fällt – ein ÖVP-Großspender, der in den letzten Jahren oft im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen genannt wurde.
Und Andreas Hanger? Der bleibt ganz in seinem Element. Er witzelt, ruft dazwischen und lenkt die Debatte. Mit gerade so viel Schmäh, dass man es ihm durchgehen lässt, und mit gerade so viel Ernsthaftigkeit, dass der Treffer sitzt. Etwa wenn er nach einer Antwort der Rechnungshof-Präsidentin zur Medienpolitik einer ÖVP-Regierung hinzufügt: „Jedenfalls wurde weniger in rechten Medien inseriert!“ – ein Konter gegen die FPÖ, von der die ÖVP-kritische Frage gestellt wurde. Als es um Russland geht, sagt er zur Verfahrensrichterin im amikalen Ton, dass „es sowieso ins Blaue ausarten wird“.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Arbeit von Hanger. Die Sabotage übernehmen längst andere – er selbst genießt den Balanceakt zwischen dem Eindruck, konstruktiv zu fragen, und dem spaßigen Trolling, dem zurückgelehnten Lächeln. Wer sonst genießt Einblick in alle U-Ausschuss-Unterlagen, ohne sich der unangenehmen Seite der Wahrheit widmen zu müssen? Genau darum hat Andreas Hanger auch den besten Polit-Job Österreichs. Auch wenn er der Aufklärung nicht immer gut tut.