Gib Europa eine Chance
Ich fange diesen Text bewusst mit ein paar Sätzen an, die nicht überall auf Zustimmung treffen: Die Europäische Union ist wichtig für Österreich. Sie erlaubt es unseren Unternehmen, einfach zu exportieren, was Arbeitsplätze und Wohlstand schafft. Durch unsere Mitgliedschaft können wir uns in der Weltpolitik einbringen und verhindern, im globalen Wettbewerb unter die Räder zu kommen. Und nur durch die EU genießen wir Frieden in Europa – oder zumindest in den Mitgliedstaaten.
Aber für viele hört sich das nach Propaganda an. „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“, soll Jacques Delors einmal gesagt haben, und er hatte recht: Die Vorteile der EU sind zwar da, aber sie sind viel zu wenig spürbar, zu abstrakt. Im die Gießkanne gewohnten Österreich stellt man sich unter Wohlstandsgewinn eher eine Direktzahlung aufs Konto vor als die Tatsache, dass das eigene Unternehmen gut genug wirtschaften kann, um eine Lohnerhöhung zu finanzieren. Und andere Vorteile – kein Stau an der Grenze, keine Roaming-Gebühren im Ausland – sind längst selbstverständlich geworden.
Das führt zu einem Imageproblem. Gerade die Europäische Union, die uns so viele Vorteile bringt, ist in Österreich geradezu verhasst. Nicht in absoluten Zahlen, aber relativ: Obwohl nur zwei Länder in Europa stärker wirtschaftlich von ihrer Mitgliedschaft profitieren, sind wir das EU-skeptischste Land der Union. Ein Grund dafür ist sicher, dass sich heimische Politikerinnen und Politiker immer gerne auf sie ausreden. Aus Prinzip: Alles, was großartig ist, wurde hier von „unserer“ Regierung geschafft, alle Probleme dagegen kommen von „denen“ aus Brüssel. Wahrscheinlich hast auch du schon oft diese Geschichte gehört. Aber es gibt einen Haken: Sie stimmt nicht.
Woher das europäische Imageproblem kommt
Denn Österreich und die Europäische Union, das ist kein „Wir gegen die“. Österreichische Abgeordnete sitzen im EU-Parlament, bestimmt durch die EU-Wahl, die am 9. Juni stattfindet. Die Bundesregierung, die durch die Nationalratswahlen demokratisch legitimiert ist, vertritt uns im Rat, in dem die Mitgliedstaaten nach wie vor viel Macht haben – vor allem wenn es darum geht, zu blockieren. Und die nationalen Regierungen sind es auch, die „ihre“ Kandidatinnen und Kandidaten in die EU-Kommission schicken. Überall in der EU ist Österreich vertreten.
Okay, das war ein juristisches Argument. Viele fühlen sich nicht gehört, und das wahrscheinlich zu Recht. Denn Europa, das kriegen wir vor allem über Regulierung mit. Der AI Act der EU, mit der künstliche Intelligenz einen Rahmen bekommt, greift erst in Zukunft, und dann werden die Regeln so wahrgenommen, als wären sie „immer schon da gewesen“. Den neuen Verschluss auf der Plastikflasche bemerken wir aber jeden Tag. Dass durch den Asyl- und Migrationspakt ein großer Schritt gelungen ist, weiß keiner – aber jeder einzelne unangenehm auffallende Migrant auf der Straße wird als Beispiel herangezogen, dass „die EU“ gegen „die Asylanten“ nichts tue.
Aber die Wahrheit ist: Vieles von dem, was die meisten an der EU vermissen, passiert. Aber viel zu langsam. Einerseits, weil 27 Mitgliedstaaten und drei starke Institutionen immer Kompromiss bedeutet. Andererseits, weil Extreme von links und rechts die Europäische Union blockieren, sabotieren, scheitern sehen wollen. Sosehr die FPÖ auch behauptet, gegen illegale Migration vorgehen zu wollen: Im EU-Parlament stimmt sie gegen sinnvolle Regeln, um genau das zu tun.
Gut, bis dahin ist das jetzt ein klassischer Text in Richtung „Europa ist viel besser, als wir denken“. Und ich weiß, dass das eine Sicht ist, die nicht viele teilen, weil die Unzufriedenheit mit der EU speziell und mit der Politik im Allgemeinen groß ist. Die Gründe dafür will ich gar nicht in Abrede stellen: Bei Bildung und Gesundheit geht viel zu wenig weiter, und auch wenn das Themen der nationalen Politik sind, strahlt das natürlich auch auf die EU-Ebene ab. Wohnen ist zu teuer, die Steuern sind zu hoch, im Klimaschutz befinden wir uns in einem Kulturkampf, statt sinnvolle (europäische) Lösungen zu finden, und eine Außen- und Sicherheitspolitik findet in Österreich schlicht und einfach nicht statt.
Es gibt allen Grund, frustriert zu sein. Die Frage ist, was wir daraus machen.
Ich plädiere dafür, einen wesentlichen Gedanken in die Wahlkabine mitzunehmen. „Wen muss ich wählen, damit die EU besser für mich arbeiten kann?“
Dafür gibt es bei der EU-Wahl drei Angebote. Zum einen die FPÖ – die Anti-Europäer, die mit dem Öxit zündeln und lieber jetzt als später austreten würden. Zum anderen die „Ja aber“-Europäer, die sich gerne proeuropäisch geben, aber nur in den Bereichen, in denen die EU im eigenen Sinne funktioniert. Im Wahlkampf der SPÖ clasht die europäische Zusammenarbeit mit dem „Europa der Konzerne“, Parteichef Babler bezeichnete die EU als ein „imperialistisches Projekt“. Die ÖVP stellt das „Europa, aber“ gleich in den Slogan hinein und sagt „Europa, aber besser“, während sie den Green Deal blockiert und in ihrer eigenen Partei ausschert, weil sie zu populistisch geworden ist.
Wer will, dass die Europäische Union in wichtigen Fragen zusammenarbeitet, braucht eine proeuropäische Partei, die an die Institutionen der EU glauben und sie weiterentwickeln wollen. Und nicht die Abrissbirne, die den ganzen Prozess zerschmettert. Die FPÖ will das EU-Parlament halbieren – die NEOS wollen dem Parlament das Recht geben, selbst Gesetze zu machen und nicht nur über Vorschläge anderer abzustimmen. Die FPÖ will über den EU-Austritt reden – die NEOS wollen europäische Volksabstimmungen, mit starken Mehrheiten in ganz Europa.
Und das ist eben die dritte Option bei dieser EU-Wahl: Europa, ohne Aber.
Gebt Europa eine Chance
Halten wir also ohne übertriebenen Europa-Patriotismus fest: Ja, die EU hat Probleme. Viele sogar. Ihre Institutionen müssen noch demokratischer werden, das Parlament gehört aufgewertet, und überhaupt gehen gerade die großen Entscheidungen viel zu langsam. Europa darf sich nicht nur auf Regulierung konzentrieren, sondern muss auch auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit schauen. Es wäre wichtig, Schlüsselindustrien auf dem Kontinent zu behalten oder sie gar zurückzuholen und der europäischen Wirtschaft die Rahmenbedingungen zu geben, die sie braucht, um mit den USA und China konkurrieren zu können.
All das sind legitime Kritikpunkte an der EU, wie sie jetzt ist. Und man ist sicher nicht antieuropäisch, wenn man diese auch nennt. Wichtig ist, dass man einen proeuropäischen Zugang hat und diese Probleme von innen verbessern will, statt auf die Abrissbirne zu setzen oder Europapolitik als Erweiterung der Parteitaktik in Österreich zu sehen. Dieser Ansatz ist nämlich nicht nur proeuropäisch – sondern auch proösterreichisch.
In diesem Sinne mein Appell. Auch wenn die Europäische Union alles andere als perfekt ist: Verwendet eure Stimme im Sinne der positiven Veränderung. Und gebt Europa eine Chance – damit es die nächsten fünf Jahre besser werden kann.