Bekenntnisse eines Ex-Verschwörungstheoretikers
Hallo alle aus der Verschwörungs-Bubble und solche, die es noch werden wollen! Heute reden wir über genau dieses Thema: Verschwörungstheorien. Ein super Thema, bei dem sich jeder gut fühlen kann – die, die an sie glauben, halten andere für Schlafschafe und Naivlinge, die alles glauben, was der „Mainstream“ ihnen sagt. Und wer sie nicht glaubt, fühlt sich informiert und aufgeklärt.
Als Chefredakteur eines Mediums, das jetzt nicht unbedingt im Lager der diversen undeklarierten FPÖ-Parteimedien einzuordnen ist, bin ich wenig überraschend im zweiten Lager. Ich fühle mich sogar sehr erwachsen und schlau, wenn ich eine Verschwörungstheorie enttarne. Aber eines muss ich euch trotzdem mitteilen: Ich war auch mal in einer unangenehmeren Ecke.
Alle Hinweise auf diese Zeit sind vernichtet, nur vereinzelte Bekanntschaften von früher erinnern sich noch an die skurrilen ersten Blogs. Also warum nicht einfach damit rausrücken? Ja, ich war Verschwörungstheoretiker. Und ich habe einiges geglaubt, von dem ich mich heute deutlichst distanziere. Trotzdem will ich darüber reden – weil ich glaube, dass ich aus dieser Zeit im Rückblick einiges gelernt habe.
Zielgruppe für Verschwörungstheoretiker
Vielleicht klären wir zuerst das „Warum“. Erstmal glaube ich, dass ich in ein Zielpublikum falle, für das es sehr leicht ist, Verschwörungstheorien zu glauben. Die Hauptzielgruppe der Querdenker war genau wie ich: junge Männer mit viel Tagesfreizeit, die diese hauptsächlich im Internet verbringen. Und sich für sehr, sehr gscheit halten.
Dazu kommt, dass es viele der Safeguards, die es heute gegen Verschwörungstheorien gibt, damals nicht gab. Es gab keine Faktenchecker, die direkt auf Facebook eine Falschmeldung als solche markieren konnten. Keine Richtlinien darüber, welche Inhalte beworben werden dürfen und welche nicht. Bis zur US-Wahl 2016 war Social Media immer noch der Wilde Westen – alles war erlaubt, und jede Art von Content fand einen Weg in die Feeds junger Männer mit Internetsucht.
Die Ausgangsbedingungen dafür, dass ich mich in der Corona-Pandemie nicht impfen lasse, waren eigentlich schon vorher perfekt: Auf YouTube und anderen Kanälen bekam ich einen Mix aus politischen Influencern, die sich mit Political Correctness anlegten und gegen den Feminismus schimpften – immerhin hassen Feminstinnen alle Männer!!! – und angeblichen Medienunternehmen, die sich „objektiv“ und „kritisch“ mit dem Weltgeschehen beschäftigten. Blogs mit klingenden Namen wie „The Intelligence“ oder „Alles Schall und Rauch“ unterscheiden sich heute von echten Medien dadurch, dass das Web-Design einfach offensichtlich shitty ist. Damals gab es keinen optischen Unterschied, ob man einen Text dort oder auf profil.at las.
Theorien, die keinen Widerspruch dulden
Was ich auf diesen Blogs und YouTube-Kanälen zu lernen glaubte, erzählte ich weiter. Mein erster Blog war, neben einer Reihe von Rants aus meinem täglichen Leben, vor allem garniert mit Verschwörungstheorien. Der Glaube an eine wie auch immer definierte „Elite“, die das Weltgeschehen hinter den Kulissen lenkte, war quasi die Grundannahme.
Ich glaubte also, dass „die da oben“ in Wirklichkeit die Fäden zogen. Und dass angebliche Intellektuelle – also „die Medien“, „die Politik“, aber auch alle, die den Mainstream verteidigten – einfach nicht schlau genug waren zu checken, was aus meiner Sicht offensichtlich war. Vieles, was ich heute ablehne, habe ich nie geglaubt, ich habe z.B. nie antisemitische Verschwörungstheorien geglaubt und war immer geimpft. Aber anderes, was mir heute sehr peinlich ist, habe ich ernst gemeint: Chemtrails, Wahlmanipulation, Bevölkerungskontrolle.
Das Beste an diesen Theorien? Man konnte sie nicht falsifizieren. Geheime Eliten sind deshalb so beliebt, weil sie eben geheim sind: Dass du sie nicht sehen kannst, heißt nicht, dass sie nicht da sind. Im Gegenteil! Wenn mich jemand darauf aufmerksam machte, dass es keinen nachvollziehbaren Hinweis für diese dubiose Elitenherrschaft gab, war ich natürlich gescheit und sagte: Sie wollen, dass du das denkst! In meinem perfekten Weltbild, das zwar gänzlich ohne Beweis, aber dafür auf sehr viel Vermutung beruhte, gab es keine Möglichkeit für Widerspruch. Andernfalls hätte ich ja zugeben müssen, dass ich im Unrecht war. Und das mag ich heute noch nicht besonders.
Der Weg in die Normalität
Wie ich da rausgekommen bin? Das lässt sich nicht so genau an einem Punkt festmachen. Aber ich glaube, dass ein Mix aus vielen Punkten begünstigt hat, dass ich heute nicht mehr an unwissenschaftlichen Blödsinn glaube.
Zuerst mal hatte ich ein Umfeld, das mich nicht bestärkt, aber auch nicht fallen gelassen hat. Meine Freunde wussten, was ich über viele Dinge denke, aber nur wenige gaben mir damit aktiv recht. Vielleicht war es ihnen egal, vielleicht fanden sie es auch einfach nur lustig – aber ich musste mir nie Sorgen machen, wenn ich meine politische Meinung äußerte. Hätten mich Leute links liegen gelassen, hätte ich mich vielleicht umso bestärkter gefühlt, gegen den „Mainstream“ zu wettern, dem sie in meinem Weltbild verfallen waren.
Außerdem kam ich in der Schule mit dem Weltgeschehen in Berührung. In Geografie diskutierten wir über aktuelle Nachrichten, in Deutsch wurden Texte aus dem Standard und der Zeit gelesen. Ich war zwar der Meinung, dass viele Medien manipuliert werden – aber ich war noch nicht so weit, alle Informationen, die ich finden konnte, als unseriös einzustufen. Während ich also in meiner Freizeit „lernte“, was es mit dem Krieg in Libyen wirklich auf sich hatte, bekam ich in der Schule die politische Diskussion rund um die NATO-Eingriffe und die Flüchtlingsthematik mit. Ich war also nicht nur mit Desinformation in Kontakt.
Politik ist immer ein Puzzle, und mit der Zeit wird das Bild deutlicher und deutlicher. Langsam bekam ich mit, wer in der österreichischen Bundesregierung sitzt, was die so tat oder in dieser Zeit eher: nicht tat. Ich kannte die politischen Vorschläge, die in Österreich kursierten, und wusste ungefähr, wer wo stand. Ich hatte zwar immer noch meine Vorstellungen über eine diffuse globale Welt-Elite, die im Hintergrund die Fäden zieht. Aber mit der Zeit wurde auch immer klarer: Wenn jemand es schafft, die Bevölkerung mit Flugzeug-Abgasen zu vergiften, dann sicher nicht Werner Faymann.
Und so verschwand eine Verschwörungstheorie nach der anderen langsam aus meinem Weltbild. Ob die Mondlandung damals „fake“ war, konnte mir spätestens an dem Punkt egal sein, als es einen Livestream vom Mars gab – wir können ins Weltall, und wir sind dort, Punkt. Mit der Zeit wurden viele dieser Punkte unschlüssig oder umstrittener, und ihre Antworten verloren schlicht an Relevanz für mein Leben. Denn was mich eigentlich interessierte, war Innenpolitik: die konkreten Gesetze, die im österreichischen Parlament nach einem definierten Prozess und einigermaßen nachvollziehbar beschlossen werden.
Ich kann mich ändern – die Bubble nicht
Wenn also in einer Pandemie so viele Menschen glauben, sie dürften „denen da oben“ nicht trauen, werde ich heute wütend. Aber eben genau, weil mir diese Logik so vertraut ist. Ich weiß, wie geschlossen dieses Weltbild ist und wie frustrierend es sein kann, wenn man denkt, es wäre alles fremdbestimmt. Darum ist es auch so unheimlich, heute zu sehen, dass sich meine frühere Bubble kaum verändert hat.
Die Influencer, denen ich früher für ihre „politisch inkorrekten“ Inhalte gefolgt bin, sind heute alle offen deklarierte Republikaner. Sie verteidigen Donald Trump und den Sturm aufs Kapitol, zusammen mit einigen anderen ewiggestrigen Meinungen, die mich heute abstoßen. Aber ihr Geschäft läuft nach wie vor: In ihren Videos argumentieren sie gegen künstliche Strohmann-Argumente, die niemand so gebracht hat, und überzeugen mit ihrer einstudierten Rhetorik und schlau klingenden Argumenten.
Die Medien, die das alles decken und nur manipuliert sind? Ich hab einige davon abonniert. Und nachdem ich einige Zeit selbst im Journalismus war, merke ich, wie stark sie gegen den Vertrauensverlust ankämpfen. Der Standard, dem ich seit der Schule treu geblieben bin, hat mittlerweile einen eigenen Transparenz-Blog, um über die eigene Arbeit zu schreiben. Mittlerweile ist es Usus, Updates zu Geschichten auch zu kennzeichnen und ein Erratum zu veröffentlichen, wenn wirklich ein Fehler passiert sein sollte. Medien legen ihre Quellen offen und bemühen sich, doppelt und dreifach zu erklären, warum sie das wissen, was sie berichten. All das hätte mir früher geholfen, meine Meinung zu überdenken.
Und die bösen Eliten, die mich früher beschäftigt haben? Die finden sich heute in den Wordings der FPÖ. In ihrem Narrativ sind sie die einzige Partei, die nicht gegen das Volk arbeitet und die die einfachen Antworten sieht, die Leute wie ich in der Schulzeit auch sahen. „Sie hassen die eigene Bevölkerung“, twittert der EU-Abgeordnete Harald Vilimsky regelmäßig. Und bestärkt damit genau das naive Bild, das ich früher hatte: Die da oben, die meinen es nicht gut mit uns.
Blick zurück in die Parallelwelt
Heißt das, dass ich heute alles glaube, was man mir sagt? Sicher nicht. Die Bundesregierung kann man auch anhand korrekter Punkte kritisieren, und jedem Medienunternehmen passieren Fehler. Auch die Wissenschaft ändert sich mit der Zeit – was in der Anfangsphase der Pandemie noch vernünftig wirkte, wirkt mittlerweile komplett aus der Zeit gefallen. Und ich ändere nach wie vor meine Meinungen: Die Impfpflicht, bzw. deren Ankündigung, halte ich im Nachhinein für keine gute Idee mehr.
Das alles ist unangenehmer als früher. Denn anstatt einfache Theorien zu haben, mit denen ich alles in mein Narrativ quetschen kann, wer gut und wer böse ist, muss ich heute einordnen. Und das führt auch zu schwierigen Themen, bei denen ich keine einfache Antwort hatte. Trotzdem ist mir das allemal lieber, als noch immer in dieser Bubble zu sein und das Gefühl zu haben, die ganze Welt habe es auf mich abgesehen. Mittlerweile weiß ich: Wenn etwas falsch läuft, und zwar nachweislich falsch läuft, dann ist es meistens keine Bosheit, sondern Inkompetenz oder ein politischer Kuhhandel.
Aber im politischen Österreich finde ich immer wieder dieses alte Ich von mir. Die Ablehnung von Eliten und Intellektuellen ist etwas, was schon Jörg Haider fabelhaft genutzt hat. Die realen, belegbaren Missstände der österreichischen Politik – Postenschacher, Verhaberung und strukturelle Korruption – sind das beste Futter für alle, die wie ich damals das diffuse Gefühl haben, dass „die da oben“ es sich schon irgendwie richten.
Genau darum bin ich heute da, wo ich bin: weil mich dieses reale Element, das aus allen Verschwörungstheorien geblieben ist, immer noch so wahnsinnig aufregt. Und weil ich nicht will, dass die Demokratie in Gefahr gerät, weil viele andere daraus die falschen Schlüsse ziehen, die auch ich früher gezogen habe.