Kraut, Rüben und Korruption
Postenkorruption, Inseratenpolitik, windige Vergaben von Aufträgen und Förderungen, von Russland bis zur Beeinflussung von Strafverfahren: Die Themenbreite machte es nicht nur für Außenstehende schwer, dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss zu folgen. Eine Einordnung.
„Korruption ist ein komplexes Phänomen und erfordert daher in der Bekämpfung einen ganzheitlichen Ansatz“, schreibt das Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung. Tatsächlich lässt sich die Art und Weise, wie die Korruption in den Allmachtsfantasien der jüngeren (ÖVP-)Vergangenheit auf die Spitze getrieben wurde, nur mit einem Blick auf alle Räder dieses Getriebes verstehen.
Denn für sich genommen ist nichts, was wir in der Kurz-Zeit sehen, wirklich neu. Wir sprechen von der „Umfärbung“ von Ministerien, weil diese eben zuvor schon von anderen parteipolitisch eingefärbt waren; parteinahe Berater verdienten unter Türkis-Blau nicht schlechter als mit Schwarz-Blau oder Rot-Schwarz: Bei Angriffen auf die unabhängige Justiz spielte die FPÖ nicht nur mit Haider in der ersten Liga, und mit roter Inseratenkorruption lassen sich Plakatwände auf Jahrzehnte füllen. Dennoch haben die Korruptionsvorwürfe unter Bundeskanzler Kurz eine andere Dynamik, die sich aus dem Zusammenspiel all dieser Ebenen ergibt.
Die oben angesprochene „Umfärbung“, fast verharmloste Postenkorruption, ist dabei zentraler Dreh- und Angelpunkt. Mit gut geschützten Positionen im öffentlichen Dienst und komplexen Regeln wäre der Spielraum für Minister:innen und deren politische Kabinette heute eigentlich eingeschränkt – soweit und solange die Beamt:innenschaft gegenhalten will und kann. Die Regierungsparteien haben in der Vergangenheit jedoch vielfältige Wege gefunden, gerade die Führungsebenen der Ministerien entsprechend mit Vertrauensleuten zu besetzen (wie Katharina Kainz beschreibt – How to Postenschacher – Materie), oder eigentlich nicht parteinahe Bedienstete mit Blick auf ihre Karrierechancen unter Druck zu setzen.
Bei der Intervention in Steuerverfahren lässt sich gut nachvollziehen, wie solcher Einfluss fruchten kann. Nicht immer ist es so plump, wie es im Steuerverfahren Wolf gewesen sein soll, wo eine Finanzbeamtin mutmaßlich direkt für eine „günstige“ Erledigung im Finanzverfahren einen Job bekommen wollte. Die Frage gilt schon lange vor solchen Tauschgeschäften: Wer würde einem Interventionsversuch in Steuerverfahren eher widerstehen – eine Beamtin, die sich in einem unabhängigen Verfahren als Bestgeeignete durchsetzt? Oder ein fachlich kaum versierter Lokalpolitiker, der für seine Besetzung seinen Parteifreunden „etwas schuldet“?
So wie die Postenkorruption mit dem Einfluss auf Steuerverfahren zusammenspielt, gibt es die nächste Rückkoppelung, wenn sich jene, die sich dank der Parteihilfe Steuern ersparten, für die Hilfe „erkenntlich“ zeigen. Neben direkten Zuwendungen an die Partei oder Versprechen für spätere Jobs kommt es auch mal vor, dass der Minister und sein Team auf einen Unternehmer achten, weil dieser „in Russland sehr dienlich“ sein könnte; dass es bei diesem „Dienst“ um die Interessen der Republik geht, scheint leider unwahrscheinlich, wenn ebendieser Minister später selbst auf der Payroll Kreml-naher Unternehmen steht.
Die besondere Herausforderung: Die oben angesprochenen Besetzungen, die Grundlage dieses Spiels sind, wirken lange nach und verstärken sich selbst; umso mehr, wenn eine Partei ohne Unterbrechung über Jahrzehnte an der Macht ist. Als im Finanzministerium Umfragen und Inseratenkampagnen für die ÖVP mit Steuergeldern bezahlt wurden, konnte der damalige Generalsekretär Thomas Schmid auf eine gute Verbindung zum Leiter der Kommunikationsabteilung setzen – war dieser einst mit Karl-Heinz Grasser ins Ministerium gekommen und so in der ÖVP aufgestiegen.
Die u.a. von dieser Achse betriebene Beeinflussung von Medien durch Inseratenschaltung (durch Stefan Schett hier wunderbar beschrieben) hat dabei nicht nur den Effekt, die eigene Partei voranzubringen. Wird die Unabhängigkeit und somit die Kontrollkraft der Vierten Gewalt beschränkt, fehlt diese bei der Prävention und Bekämpfung von Korruption. Wenn jemand rechtswidrig einen Spitzenjob auf Steuerkosten bekommen soll, muss er kritische Berichterstattung (man beachte das Erscheinungsdatum!) fürchten. Wenn dieselbe Person aber zugleich an den Füllhörnern der Inseratengelder sitzt und auf eine auf eine gute Achse zu so manchem Chefredakteur setzen und Geschichten so unter Kontrolle halten kann, ist es nicht verwunderlich, wenn er und seine Parteifreunde immer ungenierter wurden.
Besonders gefährlich wurde (und bleibt) es natürlich immer dort, wo diese Netzwerke aus parteipolitischen Freundschaften und persönlichen Gefallen bis in die Strafverfolgungsbehörden hineinreichen. Wie hätten Minister:innen Respekt vor dem Strafrecht behalten sollen, wenn der höchste Justizbeamte in der Weisungskette sich eindeutig aufseiten der verdächtigten Politiker sieht – und dessen „persönlicher Freund“ Wolfgang Sobotka als Nationalratspräsident und U-Ausschuss-Vorsitzender wohl auch einen Beitrag leistete, dass sich korrupte Akteure sicher fühlten.
Bei den Kontrollkräften möchte ich auch noch einmal auf das zu Beginn angesprochene Bundesamt für Korruptionsbekämpfung zu sprechen kommen. Leider sind die Tage der politischen Postenbesetzungen in so heiklen Bereichen keineswegs gezählt. Auch nach einem desaströsen Auftritt im Untersuchungsausschuss wurde dort ein parteinaher Ex-Kabinettsmitarbeiter auch offiziell zum Chef bestellt, der #4 und #6 der Postenkorruptionsanleitung gut kennen dürfte. Und selbst wenn direkte Eingriffe in Verfahren nunmehr kaum möglich scheinen, mangelnde Führungsqualitäten und nicht zuletzt die Frustration der qualifizierten Mitarbeiter:innen sind gerade an dieser Stelle verheerend.
Jahrzehnte ungebrochene Macht, Postenvergaben, Eingriffe in Verfahren, ein System wechselseitiger Gefallen und Belohnungen und die systematische Beeinflussung und Schwächung der unabhängigen Kontrollkräfte in Medien und Justiz – so griffen die Räder in einem über Jahrzehnte gewachsenen System ineinander. Und darum ist es auch wichtig, sie in ihrer Gesamtheit zu beleuchten.
Es bleibt zu hoffen, dass trotz der Trägheit der (aktuellen und vergangenen) Regierungsparteien der Druck nicht zuletzt durch die Zivilgesellschaft hoch bleibt und Veränderungen möglich werden. Hoffnung dafür gibt, was anderen wohl Angst macht: wenn nunmehr Kronzeugen hervortreten und Geständnisse folgen, ist das Gefühl der Unantastbarkeit in den Regierungsbüros wohl endgültig vorbei.
Zu Recht.