Putin, Vučić, Orbán: Woher die neue Achse kommt
Ebenso wie die Machenschaften der drei Autokraten lange unterschätzt wurden, so blieben auch ihre Netzwerke untereinander lange Zeit unbeachtet. Im Folgenden wird daher der Frage nachgegangen, auf welchen Interessen ihre Verbindungen beruhen, welcher Nutzen für sie dabei herausspringt und welche Gefahr das für die liberale Demokratie in Europa beinhaltet.
Im revisionistischen Kampf gegen liberal-demokratische Kräfte hat sich quer durch Ost-, Mittel- und Südosteuropa eine Achse gebildet, die durch geopolitische, geoökonomische und ideologische Verflechtungen charakterisiert ist. In dieser gemeinsamen autoritären und zentristischen Grundstruktur scheint der aktuelle russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zumindest auf den ersten Blick deren Verbrüderung zusätzlich zu stärken.
Das ließ sich auch gut bei ihrem kürzlichen Treffen in Peking beobachten, zu dem Chinas Machthaber Xi Jinping anlässlich des neu aufgerollten Seidenstraßen-Projekts geladen hatte. Ein Gruppenbild mit Autokraten.
Denn die vielzitierte „Zeitenwende“ seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs hat auch Orbáns und Vučićs Verhältnis zu Putin in ein neues Licht gerückt: Europa ist zwar darum bemüht, aus der Abhängigkeit von russischem Gas herauszukommen, um weniger erpressbar für Wladimir Putin zu sein und seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht mitzufinanzieren. Doch entlang der Achse Moskau-Budapest-Belgrad schätzt man die „guten Beziehungen“ – und macht sich scheinbar keine Sorgen darüber, was mit dem „Blutgeld“ passiert.
Überraschend ist das alles nicht: Schließlich hängen Ungarn und Serbien an der russischen Gasleine. Serbien verlängerte im Mai 2022 seinen Vertrag um drei Jahre. Ungarn hatte bereits 2021 einen 15-jährigen Vertrag mit Russland abgeschlossen und im August 2022 die zusätzliche Erhöhung des russischen Gasimports bestätigt. Und im Juni 2023 haben sich ungarische und serbische Staatsunternehmen in Novi Sad vertraglich darauf geeinigt, in ebendieser Stadt ein gemeinsames Unternehmen für Erdgashandel zu gründen.
Bei der Verhängung der EU-Sanktionen gegen Putins Russland hat sich Viktor Orbán stets gesträubt und immer wieder versucht, diese mit Tauschgeschäften zu eigenen, nationalen Vorteilen zu nutzen – sprich: erwartete EU-Gelder. Aleksandar Vučić dagegen hat sich von Anfang an bezüglich eigener Wirtschaftssanktionen gegen Russland wankelmütig, also taktierend, gezeigt, bis er diese letzten August abgelehnt hat. Jedoch ist die serbische Wirtschaft derart eng mit jener der EU verwoben, dass sämtliche EU-Sanktionen gegen Russland auch direkt serbische Unternehmen betreffen. Stillschweigend ging Serbien daher mit den wirtschafts- und sicherheitspolitischen Entscheidungen mit – wie beispielsweise im Fall der vermuteten Waffenlieferungen Serbiens an die Ukraine.
Serbien bemüht sich um Schadensbegrenzung
Die internationale Position Serbiens hat sich angesichts der jüngsten Gewalteskalation mit vier Toten im Nordkosovo allerdings drastisch verändert. Beide, sowohl der serbische Präsident Vučić als auch sein Außenminister Ivica Dačić, sind um Schadensbegrenzung und Deeskalation bemüht. Mitunter war in serbischen Medien recht rasch von etwaigen EU-Sanktionen gegen Serbien die Rede. Umso engagierter zeigt sich jetzt die serbische Führung einer neuerlichen internationalen Isolation wie zuvor in den 1990er Jahren entgegenzuwirken.
Ob dieser jüngste Anschlag von langer Hand aus Belgrad geplant war oder doch auf eine Eigendynamik der serbischen Paramilitärs zurückzuführen ist – wie vergleichsweise beim Alleingang von Jewgeni Prigoschin, dem inzwischen toten russischen Chef der Gruppe Wagner – wird sich weisen. Fest steht, dass eine Isolation Serbiens zuallererst Russland in die Hände spielen würde, das ja an einem geeinten Europa kein Interesse hat. Die Nähe Serbiens zum „Bruder“ Russland wird gerne geschichtlich und mit Bezug zur orthodoxen Religion hergeleitet, zumindest auf klero-faschistischer Seite und bei prorussischen Demonstrationen in Belgrad.
Breite EU-Skepsis
Ausgeblendet bleibt seit der postkommunistischen Verbrüderung natürlich der Stalin-Tito-Bruch 1948: Während der Jugoslawien-Kriege in den 1990er Jahren stellte sich der Kreml unterdessen auf die Seite Serbiens (damals noch BR Jugoslawien), stimmte neben China dem Wirtschaftsembargo der USA und EU gegen Jugoslawien nicht zu und stimmte im Jahr 1999 im UN-Sicherheitsrat gegen die NATO-Bombardements. Vor diesem Hintergrund können gewisse Loyalitätsgründe für Vučićs aktuelle Position abgeleitet werden.
Gleichzeitig zeigen die Eurobarometer-Umfragen von Juni 2023 eine breite Europaskepsis: So liegt das Misstrauen gegenüber der EU bei 61 Prozent, das Vertrauen in die EU bei lediglich 32. Schließlich verbreiten serbische Mainstream-Medien, längst Handlanger des Vučić-Regimes, russische Propaganda. Das mussten auch 200.000 aus Russland geflohene Oppositionelle in Serbien selbst feststellen.
Neue serbisch-ungarische Freundschaft
Die neuerliche Freundschaft zwischen Ungarn und Serbien dürfte nicht weit hergeholt sein – sondern eher in der gemeinsamen EU-Skepsis und Russland-Haltung fußen. Nachdem das bilaterale Verhältnis zwischen dem ungarischen Satellitenstaat und dem blockfreien Jugoslawien bis 1989/90 eher von gegenseitigem Misstrauen geprägt war, unterstützt Olivér Várhelyi, der ungarische EU-Erweiterungskommissar und ein Vertrauter Orbáns, sowohl die ambivalente Politik Vučićs gegenüber der EU und Russland und außerdem den bosnisch-serbischen Nationalisten Milorad Dodik, als Präsident der Republika Srpska mittlerweile wegen Amtsmissbrauchs angeklagt. Várhelyi zahlt nämlich EU-Hilfen an die Republika Srpska aus, obwohl Deutschland eigene Hilfszahlungen aufgrund von Dodiks separatistischen Bestrebungen vorerst eingefroren hat – sicher auch als Revanche für die seitens der EU zurückgehaltenen Finanzleistungen an Ungarn.
Kosten-Nutzen-Rechnung
Die betonte Herzlichkeit unter den drei Autokraten beruht ausschließlich auf berechnendem Machtkalkül: Solange die Nähe zu Russland, und konkret zu Putin, dem eigenen Kosten-Nutzen-Kalkül standhalten kann, wird sie eingehalten. Ist das nicht mehr der Fall, wird auch die Abkehr folgen.
So ist vorerst aus offiziell ungarischer Sicht der Einmarsch der Roten Armee 1956 kein Thema. Damals schlug die Rote Armee den Ungarnaufstand brutal nieder, worauf 200.000 Menschen aus dem sowjetischen Satellitenstaat Ungarn flohen. Das ist zwar zweifellos Teil des kollektiven Gedächtnisses, aber für Orbáns Machtpolitik irrelevant. Seine Geschäfte mit Russland laufen nach wie vor gut.
Sobald die Strahlkraft und internationale Bedeutung von Putins Russland und die damit verbundene Gewinnmaximierung nachlassen, könnte mitunter dieses traumatische Ereignis von 1956 herangezogen werden, um die Abkehr von Russland zu legitimieren. Derzeit sieht es aber noch nicht danach aus.
Autokratische Ablaufzeit
Nachdem es alle drei Autokraten verstanden haben, den jeweiligen Staatsapparat perfide unter ihre Kontrolle zu bringen, haben sie zumindest vorerst ihre eigene Machtposition gegen oppositionelle liberal-demokratische Kräfte abgesichert. Im Unterschied zu Russland sind Ungarn und Serbien allerdings von EU-Geldern abhängig.
Das spürt vor allem Ungarn, das die höchste Inflationsrate in der EU aufweist und die derzeit eingefrorenen EU-Finanzspritzen dringend benötigen würde. Und wenn gegen Serbien tatsächlich internationale Sanktionen eingeführt werden, würde das ein Ende der guten Wirtschaftsdaten mit sich bringen. Beide Länder könnten sich folglich noch mehr Russland anbiedern.
Somit steht und fällt die Putin-Orbán-Vučić-Achse mit der Frage nach der geopolitischen und geoökonomischen Stärke Russlands und schließlich mit der Frage, ob liberale Gegenstrategien, eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ein europaweites liberal-demokratisches Netzwerk und die breite internationale Unterstützung der angegriffenen Ukraine aggressiven Autokratien Paroli bieten sowie deren Kriege beenden können. Der Aufruf, die Ukraine nicht im Stich zu lassen, muss ernst genommen werden, damit aus der Zeitenwende kein Demokratie-Ende wird.