U-Ausschuss: Zwei Arten von Kontrolle
Wer die Materie-Berichterstattung über U-Ausschüsse schon länger verfolgt, der ahnt es wahrscheinlich: Ich bin ein Fan von U-Ausschüssen. Es ist wichtig, dass das Parlament einen Kontrollmechanismus hat, um politische Verantwortung zu untersuchen.
Ich sage das, obwohl ich im Vorfeld der zwei U-Ausschüsse im Jahr 2024 kritisiert habe, dass ein Wahljahr wahrscheinlich nicht der beste Zeitpunkt dafür ist. Und ich bleibe auch beim Punkt, dass wir eigentlich genau wissen, was wir tun müssten, um Korruption besser zu verhindern. Dafür haben wir genug Learnings aus den letzten zwei U-Ausschüssen. Und eines der Key Learnings, wenn man im U-Ausschuss sitzt und zuhören darf, statt nur Ticker zu lesen: Es gibt zwei Arten von Fragen.
Da gibt es die kritischen Fragen. Abgeordnete wollen die Hintergründe wissen: Wer wusste was, zu welcher Zeit? Warum hat man sich so entschieden, warum nicht anders? Was wurde aus Zweifeln in Behörden, wieso ist etwas so passiert, wie es passiert ist? So tastet man sich an die Wahrheit heran, was aus welchem Grund passiert ist – und wer die politische Verantwortung trägt.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch noch die scheinkritischen Fragen. Diese Art der Kontrolle dient im Wesentlichen der Inszenierung, nach dem Motto: Hauptsache es sieht aus, als würden wir mitmachen. Das kritische Element, das wirklich der Aufdeckung dient, vermisst man.
Zwei Arten von Aufklärung – am Beispiel Eduard Müller
Das bisher beste Beispiel gab es in der Befragung von Eduard Müller. Der frühere Finanzminister in der Expertenregierung Bierlein und heutige Chef der Finanzmarktaufsicht wurde geladen, um über seine Rolle als Sektionschef im Finanzministerium zu sprechen. Eine Position, die er zu der Zeit hatte, als Thomas Schmid Generalsekretär im selben Ministerium war – und in dem es zu einer umstrittenen Verschiebung des Steuersitzes von René Benko kam.
Im Rahmen der kritischen Befragung ging es darum, welche Wahrnehmungen Müller zu seinen Treffen mit René Benko hatte. Nach „Wahrnehmungen“ fragt man im U-Ausschuss übrigens, weil es sich um subjektive Eindrücke handelt. Der Hintergrund: Man kann zwar sagen, dass man etwas nicht wusste oder wollte, aber man kann schlecht leugnen, wenn man etwas zumindest grundsätzlich am Schirm hatte. Außerdem ermöglicht diese Art der Fragestellung den Auskunftspersonen eine sichere Möglichkeit zu antworten. Sie stehen immerhin unter Wahrheitspflicht – Wahrnehmungen aber sind subjektiv, können also nur schwer gelogen sein.
Der U-Ausschuss fragt also nach Müllers Wahrnehmungen. Vor allem zu Treffen mit René Benko. Es gab eines, mindestens eines, das wissen wir aus Aufzeichnungen und Aussagen Müllers. Auf Nachfrage räumt er auch ein, dass es nicht üblich sei, sich bei einem Steuerpflichtigen zu treffen, wie es mit Benko passiert sei. Aber worum es ging, wie oft Müller mit wem über Benko gesprochen hat: Hier bleibt er vage.
Yannick Shetty, der NEOS-Abgeordnete in den Untersuchungsausschüssen, fasst zusammen und stellt fest, dass Müller sich nur sehr vage erinnert. Außer bei einem Gespräch, das für ihn laut U-Ausschuss-Akten besonders belastend ist. Müller soll gegenüber einem kritischen Beamten „laut geworden“ sein und das Argument gebracht haben, Benko habe immerhin 5.000 Arbeitsplätze gerettet. Zu diesem Vorwurf gibt Müller ein sehr klares Wording an, das er in diesem Telefonat vor vielen Jahren gebracht habe. Er kann den Wortlaut mehrmals gleichlautend zitieren.
Als Reaktion auf diese Zusammenfassung zettelt die ÖVP eine Geschäftsordnungsdebatte an: Die Frage erwecke den Eindruck, Müller könne sich nur selektiv erinnern, was man als Vorwurf auffassen könne. Mal abgesehen davon, dass man diesen Vorwurf durchaus in den Raum stellen könnte – dient zwischendurch laut auszusprechen, was bisher gesagt wurde, vielmehr der Protokollierung. Hätte Müller sachliche Fehler in Shettys Fazit gefunden, hätte er sie für das Protokoll noch richtigstellen können. Tat er aber nicht. Aber die ÖVP kam trotzdem zur Hilfe und vermutete einen Angriff. Dabei ist genau das kritische Aufklärung.
Nur scheinbar kritisch
Und dann: die Schein-Aufklärung. Nachdem aus den anderen Fragen schon klar wird, dass sich Müller an manche Dinge sehr gut erinnern kann – teilweise sogar mit genauem Wortlaut –, und manchmal eher schlecht, eröffnet ein ÖVP-Abgeordneter seine Fragerunde mit der sehr allgemeinen Frage, ob sich Reiche in Österreich eine bessere Behandlung vom Finanzamt kaufen könnten. Müller verneint – no na. Der Abgeordnete will diese Aussage, die immerhin unter Wahrheitspflicht getroffen wird, protokolliert wissen, und bedankt sich: Damit sei das geklärt.
Ob sich Menschen wie René Benko in Österreich eine bessere Behandlung kaufen können, ist aber nicht durch eine Wahrnehmung von Eduard Müller geklärt. Denn es gibt viele offene Fragen, die das Gegenteil vermuten lassen. Etwa, warum bei Benko-Immobilien und Firmen, die offensichtlich keinen Gewinn abwerfen, nicht genau hingeschaut wurde. Warum Bedenken kritischer Beamter nicht nachgegangen wurde. Warum Eduard Müller selbst gegenüber einem dieser Beamten „laut geworden“ sein soll – inklusive anschließender Telefonkonferenz, von der nichts verschriftlicht ist.
Für Müller gilt natürlich, wie für alle anderen Auskunftspersonen auch, die Unschuldsvermutung. Den Vorwurf der politischen Intervention, der von anderen Beamten nahegelegt wurde, ist auch eher ein politischer, die rechtliche Dimension ist eine andere. Aber beim Aufklären der politischen Verantwortung für die Sonderbehandlung einzelner, gut vernetzter Personen ist kritisches Nachfragen gefragt. Dass Müller nicht unter Wahrheitspflicht aussagt, dass Reiche sich eine bessere Behandlung kaufen können, ist klar: Können sie nicht. Aber können sie durch ihr Netzwerk, durch Freunde in Politik und Verwaltung, durch Missstände in Behörden, auf ein besonders gutes Resultat hoffen? Dieser Verdacht ist nicht ausgeräumt. Und die Scheinaufklärung des ÖVP-Abgeordneten ändert nichts daran.
Und das ist nur ein Beispiel. Dieser Trend beschränkt sich weder auf die Befragung von Müller, noch auf Fragen von NEOS. Auch andere Parteien bringen kritische Fragen, zitieren Chatprotokolle und fragen nach Details. Und auch, wenn der U-Ausschuss sich ab und zu anfühlt wie eine Schulklasse: Insgesamt funktioniert die Aufklärung. Zumindest bei den meisten.
Während also mehrere Parteien am konstruktiven Aufdecken von Missständen im öffentlichen Bereich arbeiten, geben sich andere mit einfachen Antworten zufrieden. Eine Live-Übertragung von U-Ausschüssen könnte helfen, diese Scheinbefragung zu verhindern. Sie scheiterte dieses Jahr aber erneut am Widerstand der ÖVP.