Warum die Vermögenssteuer in der Schweiz funktioniert – und in Österreich nicht
Wenige Wochen vor der Nationalratswahl am 29. September 2024 nimmt der Wahlkampf Fahrt auf. Das Thema Millionärssteuer wird dabei von SPÖ-Chef Andreas Babler regelmäßig in die Diskussion gebracht. Mit höheren vermögensbezogenen Steuern soll mehr Gerechtigkeit geschaffen und sein Wahlprogramm finanziert werden. Die Zustimmung für höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern ist unter den Wähler:innen groß, besonders bei Grünen, SPÖ oder KPÖ. Auf diesen Zug springen nun viele weitere Organisationen und Interessenvertretungen auf. Mit der Allianz für einen fairen Beitrag der Reichsten haben sich 36 Institutionen zusammengeschlossen, um für Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuern einzutreten. Darunter finden sich Gewerkschaften, Arbeiterkammer, Global2000, Attac, die Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft, die Volkshilfe und SOS Mitmensch. Der Ruf nach mehr Vermögenssteuern, die einem guten Zweck dienen sollen, wird lauter.
Gute Intentionen, schlechte Resultate
Eine reine Vermögenssteuer bezeichnet eine Steuer auf Vermögenswerte wie Bargeld, Wertpapiere, Bankguthaben, Immobilien, Firmenanteile, Edelmetalle, Autos, Kryptowährungen oder Kunst. Unter steuerbare Vermögenselemente fallen in der Schweiz auch kuriosere Vermögenswerte wie Pferde- und Viehbestand oder Münzsammlungen. Eine Vermögenssteuer wird in der Regel in einem geringen prozentualen Bereich angesetzt, da es sich um eine Substanzsteuer in Relation zu einem Vermögenswert handelt. So würde eine beispielhafte Besteuerung einer Immobilie mit jährlicher Mietrendite von 3 Prozent, bei einer Vermögenssteuer von einem Prozent ein ganzes Drittel der Erträge aus der Vermietung dieser Immobilie kosten. Sie funktioniert also gewissermaßen wie eine starke Erhöhung der Einkommensteuer für Vermögende – die bereits in der Regel den Großteil der Einkommensteuer stemmen.
Unter allen Steuerarten gilt die Vermögenssteuer als jene mit den höchsten Erhebungskosten, der größten Komplexität und den stärksten negativen Auswirkungen für eine Volkswirtschaft. Reine Vermögenssteuern sind daher historisch ein Auslaufmodell und wurden von nahezu allen Ländern, die eine solche Steuer in der Vergangenheit eingehoben haben, inzwischen abgeschafft. In Europa gibt es sie nur noch in Norwegen, Spanien (zeitlich begrenzt bis Ende 2024) und der Schweiz. Von jenen Staaten, die sie abgeschafft haben, wurde sie häufig durch andere Ertragssteuern wie zum Beispiel einer höheren Grunderwerbsteuer oder Kapitalertragsteuer ersetzt. Ein Umstand, den Befürworter:innen der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer gerne vergessen.
Die Bilanz der noch existierenden Vermögenssteuern ist schlecht: In den letzten Jahren zeigten sowohl Norwegen und Frankreich als auch Spanien dass diese Steuerart mit erheblichen Problemen verbunden ist, hohe Kosten erzeugt, Kapitalflucht auslöst und die mit ihr erzielten Steuereinnahmen bei weitem nicht so hoch sind wie erwartet. Im Gegenteil, es zeigt sich, dass die negativen Folgen für Wirtschaftswachstum, Investitionen, Beschäftigung und andere Steuerquellen (Lohn- und Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Unternehmenssteuern etc.) die Steuereinnahmen aus der Vermögenssteuer bei weitem übertreffen. Frankreich hat die Vermögenssteuer aus diesem Grund 2018 abgeschafft, Norwegen erlebt aktuell einen Exodus seiner reichsten Bürger:innen. In Deutschland wurde im Jahr 2017 durch eine von einer SPD-Ministerin an das ifo-Institut und Ernst & Young beauftragte Modellrechnung einer Vermögenssteuer dasselbe Ergebnis gefunden. Eine Vermögenssteuer – welche praktischerweise sehr ähnlich konzipiert ist wie jene im aktuellen SPÖ-Modell von einem Prozent Vermögenssteuer ab einem Freibetrag von einer Million Euro – würde über acht Jahre Betrachtungszeitraum hinweg das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands um 6,2 Prozent reduzieren, so den Staat um 38,9 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen kosten, als die Vermögenssteuer selbst einbringen würde. Dem Wunsch nach einem „fairen Anteil der Reichen“ kann man also nur gerecht werden, wenn alle im Land dafür ärmer werden und Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen dafür geopfert werden.
Zur Argumentation einer Vermögenssteuer wird gerne ein OECD-Vergleich bedient, der das Hochsteuerland Österreich in den hinteren Reihen bei der Besteuerung von Vermögen sieht. Hierbei wird jedoch ignoriert, dass dieser OECD-Vergleich sehr unterschiedliche Steuersysteme vergleicht. Statt nur Äpfel mit Birnen miteinander zu vergleichen, handelt es sich um einen internationalen Obstkorb. So kommt es, dass bestimmte Steuern in Österreich, die einen klaren Bezug zu Vermögen haben, von der OECD nicht als vermögensbezogene Steuern gewertet werden. Würde man hierbei Steuern, wie beispielsweise die Immobilienertragssteuer, korrekt einbeziehen, wären Österreichs vermögensbezogene Steuern mehr als doppelt so hoch, wie der OECD-Vergleich vorgibt. Wichtig hervorzuheben ist auch, dass von den 38 OECD-Mitgliedstaaten, die in diesem Vergleich für die Argumentation zur Einführung einer Vermögenssteuer aufgeführt werden, nur vier Mitgliedstaaten überhaupt selbst eine Vermögenssteuer einheben – darunter die zeitlich bis Ende 2024 begrenzte Steuer in Spanien.
Der Vergleich: Schweiz vs. Österreich
Die schweizerische Vermögenssteuer ist eine Ergänzungssteuer zur international vergleichsweise sehr niedrigen Einkommensteuer der Schweiz. Sie wird nicht vom Bund selbst, sondern von den einzelnen Kantonen und Gemeinden eingehoben, welche in einem Steuerwettbewerb zueinander stehen. Sowohl die genaue Ausgestaltung, der Freibetrag (steuerfreies Minimum) ab welchem besteuert wird als auch die Höhe der Besteuerung variieren daher stark. So kann die Vermögenssteuer im Kanton Basel-Landschaft bereits ab 10.000 CHF Vermögen anfallen. In Zürich zahlt eine alleinstehende Person 0,19–0,48 Prozent Vermögenssteuer ab einem Vermögen von 80.000 CHF (ca. 85.650 Euro im September 2024). In einem reichen Niedrigsteuerland mit hohem verfügbaren Einkommen ist die Grenze zu diesen Freibeträgen für viele Menschen schnell erreicht. Die Vermögenssteuer ist hier also eine Massensteuer, die bis tief hinein in den Mittelstand besteuert. In allen Kantonen und Gemeinden wird sie zudem nur im Promillebereich eingehoben und beträgt im niedrigsten Fall gerade einmal 0,12 Prozent.
Demgegenüber steht Andreas Bablers Modell, welches mit einem Freibetrag von 1 Million Euro nur die reichsten 2 Prozent der Haushalte in Österreich treffen soll und diese mit bis zu 2 Prozent pro Jahr besteuern möchte. Während sich Schweizer Bürger:innen und Unternehmen in einem Niedrigsteuerland mit liberaler Gesetzgebung und sehr gutem Wirtschaftsstandort befinden und die Vermögenssteuer somit geringe negative Auswirkungen für die schweizerische Wirtschaft entfaltet, sieht die Lage für Österreich anders aus. Als internationales Hochsteuerland mit der dritthöchsten Steuer- und Abgabenquote innerhalb der Europäischen Union sind die negativen Auswirkungen einer zusätzlichen Vermögenssteuer für Österreich wesentlich stärker ausgeprägt und vielseitiger. Die Möglichkeiten, die Menschen und Unternehmen im Land haben, um sich eine teure, verwaltungsintensive Substanzsteuer leisten zu können, sind signifikant geringer. In ihrer Analyse der Rolle und Ausgestaltung von Vermögenssteuern rät ebenjene OECD explizit davon ab, als Hochsteuerland zusätzlich eine Vermögenssteuer einzuführen. Diese habe in solchen Ländern zu wenig Spielraum, könne nur wenige Steuereinnahmen erzeugen, würde wirtschaftliche Ineffizienzen schaffen, Innovation und Wirtschaftswachstum hemmen und zu Kapitalflucht führen.
Die Schweiz hingegen genießt einen Status als globales Finanzzentrum und Steueroase, was seit jeher die Ansiedlung von Vermögenden und Unternehmen begünstigt. Innerhalb dieses Systems aus großen Standortvorteilen und niedrigen Steuern findet sich Platz für eine geringe Vermögenssteuer, auch wenn diese auch in der Schweiz als eine verwaltungsintensive und wirtschaftsschädliche Steuer gilt. Die vielen Vorteile insgesamt, die das Niedrigsteuerland Schweiz bietet, wirken jedoch weit stärker als die Nachteile einer Vermögenssteuer. Der Vergleich dieses Standorts mit Österreich greift also zu kurz. In Österreich hemmen starre Strukturen, ineffiziente Verwaltung, komplexe Gesetzgebung, hohe Steuern und Abgaben und ein viel zu umfassender Staat den Wirtschaftsstandort. Innerhalb der letzten fünf Jahre schrumpfte das BIP pro Kopf in Österreich real um 1,7 Prozent. Innerhalb der Europäischen Union nimmt Österreich damit den letzten Platz ein. Österreichs Wirtschaft wird 2024 erstmals seit dem Jahr 1950 für zwei Jahre in Folge schrumpfen. Großer Reformwille im Land ist deshalb trotzdem noch nicht ausgebrochen. In einer solchen Lage kann man in einem Land wie Österreich nicht noch zusätzlich eine wirtschaftsfeindliche Vermögenssteuer einführen.
Ob diese Steuer überhaupt die von der SPÖ stets behaupteten 5 bis 6 Milliarden Euro erzielen kann, ist zusätzlich höchst unglaubwürdig. Vergleichbare Vermögenssteuern aus dem wesentlich größeren und reicheren Frankreich (ca. 5 Milliarden Euro), dem wesentlich größeren Spanien (ca. 623 Millionen Euro) oder dem sehr viel reicheren Norwegen (ca. 2,5 Milliarden Euro) zeichnen ein anderes Bild. Auch die Schweiz eignet sich hierbei in vielerlei Hinsicht als besonders gutes Vergleichsbeispiel. Denn das Land liegt im internationalen Vergleich mit ca. 16 Prozent Bevölkerungsanteil an Millionär:innen (Kleinstaaten Monaco und Liechtenstein exkludiert) weltweit auf Platz 1. Laut dem Global Wealth Report 2024 von Credit Suisse ist eine von sieben Personen innerhalb der erwachsenen Schweizer Bevölkerung Millionär:in. Für Österreich liegt dieser Wert gerade einmal bei 3,7 Prozent. In absoluten Zahlen vergleichen wir ca. 1,1 Millionen Personen in der Schweiz mit ca. 300.000 Personen in Österreich.
Obwohl es sich also bei der Schweiz um eines der reichsten Länder der Erde handelt, welches ein wesentlich höheres Preisniveau hat, den Bewohner:innen und Unternehmen viel mehr von ihren Erträgen übrig lässt und die Vermögenssteuer hier als eine breit angelegte Massensteuer eingehoben wird, erreichen die Kantone und Gemeinden damit nur Steuereinnahmen in Höhe von ca. 8 Milliarden CHF. Mathematisch ist Österreich von diesem erzielbaren Wert also weit entfernt. Die SPÖ erklärt uns jedoch, dass wir mit ihrer Vermögenssteuer auf ein ähnlich hohes Niveau kommen können. Andres Babler nennt seine Berechnungen seit einigen Tagen sogar „zu defensiv“ und geht inzwischen von 6 bis 8 Milliarden Euro Steuereinnahmen aus. Das 7,5-mal bevölkerungsreichere Frankreich, das um ein Drittel mehr Millionär:innen pro Kopf hat und eine nahezu identische Steuer bis 2018 hatte, wie sie das SPÖ-Modell aktuell vorschlägt, schlagen wir damit – auf nicht nachvollziehbare Weise – um gleich 1 bis 2 Milliarden Euro. Negative Folgen für die bereits angeschlagene Wirtschaft werden dabei konsequent ignoriert, als könnte eine Substanzsteuer Geld aus dem Nirgendwo herzaubern, ohne dass dieses anderswo in der Wirtschaft fehlen würde.
Kein Modell für Österreich
Der Vergleich mit der Schweiz zeigt also in Wirklichkeit, dass Österreich ein völlig anderes Land sein müsste, um eine funktionierende Vermögenssteuer einführen zu können. Würden wir es tun, würden wir damit nur noch mehr wirtschaftlich negative Folgen erzeugen. Auch die OECD, deren internationaler Vergleich vermögensbezogener Steuern hierzulande so gerne verwendet wird, um damit mehr Vermögenssteuern zu argumentieren, rät davon ab, als Hochsteuerland noch zusätzlich eine Vermögenssteuer einzuführen. In der Praxis sehen wir anhand der Experimente von Frankreich, Norwegen und Spanien, dass wir eine solche Steuer nicht riskieren dürfen. Die aktuelle Diskussion mag – abseits von populistischen Wahlkampfforderungen mit falschen Zahlen – gute Intentionen haben, hätte in Wirklichkeit jedoch verheerende Folgen für Österreichs bereits angeschlagene Wirtschaft. Für ein Land, das gleichzeitig Rekordsteuereinnahmen, Rekorddefizit und eine schrumpfende Wirtschaft hat, benötigt es in den kommenden Jahren mutige Reformen und Sparwillen, um die Wirtschaft aus dieser schlechten Lage wieder herauszubekommen. Und nur hierbei sollte man sich ein Beispiel an der Schweiz nehmen.
LUKAS LEYS ist Unternehmer, Gründer des Legal-Tech-Startups kontractory und Betreiber der Plattformen immobily.io, mietrecht.ai und gmbh.legal. Ihn treibt ein starkes Interesse am technologischen Fortschritt und an den gesellschaftlichen Auswirkungen, die dieser mit sich bringen wird. Sein Schwerpunkt liegt auf Blockchain-Technologie, Smart Contracts und dem Metaverse.