How to Postenschacher
Postenkorruption ist in aller Munde. Doch was genau steckt hinter diesem sperrigen Wort? Welche Tricks werden angewandt, um wohlwollenden Personen den gewünschten Job zu verschaffen? Eine Einführung.
Durch das Studieren unzähliger Akten im U-Ausschuss zu ÖVP-Korruption konnten wir beliebte Systeme aufdecken, mit denen in Österreich Postenkorruption betrieben wird. Aber auch Informant:innen helfen uns dabei, auf Gesetzeslücken aufmerksam zu werden, durch die Postenkorruption erst möglich wird. Die leer ausgegangenen Bewerber:innen, die hautnah miterleben mussten, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht, wenden sich immer wieder an NEOS, um uns ihr Leid zu klagen und um zu erzählen, wie der Postenschacher gelang. So lernen wir stetig, wie korrupte Systeme funktionieren, und was nötig ist, um diese zu unterbinden.
Trick #1: Ministerien „umfärben“
Das wohl effizienteste Mittel, um als Minister:in in den Schlüsselpersonen eines Ministeriums umfänglich umzufärben, ist die sogenannte Geschäftseinteilungsänderung.
Dahinter versteckt sich der Einfluss auf die Hierarchie eines Ministeriums: Ein Ministerium wird in Sektionen unterglieder, welche von Sektionschef:innen geführt werden. Sektionen wiederum werden in Gruppen unterteilt und von Gruppenleiter:innen geführt. Über den Sektionen und Gruppen stehen die mächtigen Generalsekretär:innen. Eine umstrittene Position, weil sie auch von den zuständigen Minister:innen politisch besetzt werden – also nicht ausgeschrieben werden – und gegenüber allen Bediensteten eines Ministeriums ein Weisungsrecht haben.Sektionschefs, Gruppenleiter der Generalsekretär: Sie alle haben gemeinsam, dass ihre Bestellung immer nur für fünf Jahre gilt – danach muss der Posten neu ausgeschrieben werden.
Was aber, wenn eine neue Ministerin in das Ressort einzieht und die hohen Beamt:innen nicht ihre Weltanschauung verinnerlicht haben, sondern sich ausschließlich der Verwaltung und dem Gesetz verpflichtet fühlen? Hier kommt die Änderung der Geschäftseinteilung ins Spiel: Dann werden z.B. neue Abteilungen geschaffen oder bestehende in andere Sektionen geschoben. So schafft man eine Änderung der bestehenden Geschäftsordnung von über 25 Prozent: die magische Grenze, ab der neu ausgeschrieben werden darf, auch wenn die 5-jährige Bestellung noch nicht abgelaufen ist.
So werden mit einem Schlag unzählige Spitzenpositionen neu ausgeschrieben, und die politisch gewünschten Personen finden Einzug in die (im besten Fall) unpolitische Verwaltung. Natürlich steckt nicht hinter jeder Geschäftsordnungsänderung eine politische Umfärbung des Ressorts – aber es kann in gewissen Ministerien eine auffällige Häufung an Änderungen der Geschäftseinteilungen festgestellt werden, die rational nicht begründbar sind.
Trick #2: Planstellen für die eigenen Leute schaffen
Das Kabinett ist das politische Büro eines Ministers. Anders als in der Verwaltung, darf hier ein Minister ganz bewusst „seine Leute“ zu sich holen, und zwar unbegrenzt viele. So kommt es, dass für Bundeskanzler Nehammer aktuell 27 Kabinettsmitarbeiter:innen arbeiten. Der Job einer Kabinettsmitarbeiterin hängt unmittelbar mit dem des Ministers zusammen: Ist der Minister weg, wird auch sein politisches Büro aufgelöst. Denn die neue Ministerin übernimmt ungern Kabinettsmitarbeiter:innen ihres Vorgängers – dadurch ist der Job im Kabinett kein dauerhaft stabiler.
Um das zu umgehen, werden gerne Doppelzuteilungen vorgenommen. Dabei erhält die Kabinettsmitarbeiterin neben ihrem Job im Kabinett auch einen Job in der Verwaltung. Sie „sitzt“ nun auf einer Planstelle in der Verwaltung. Nicht alle üben diesen Verwaltungsjob auch aus, sondern binden die Planstelle nur, um bei Ausscheiden aus dem Kabinett ein sicheres Standbein in der Verwaltung zu haben. Es gibt aber durchaus auch Kabinettsmitarbeiter, die neben ihrer Kabinetts- auch eine Verwaltungstätigkeit ausüben.
Trick #3: Die Verwaltung politisieren
Doppelzuteilungen kritisiert der Rechnungshof schon seit mehr als zwanzig Jahren, denn das System führt zu doppelten Strukturen (in Kabinett und Verwaltung) und auch zu Schwierigkeiten für Beamt:innen, die nicht erkennen können, welchen „Hut“ ihr Gegenüber gerade auf hat: Spricht die Person als nicht weisungsbefugtes Kabinettsmitglied oder als weisungsbefugter (beispielsweise) Abteilungsleiter?
Beliebt ist es auch, Kabinettsmitarbeiter:innen direkt aus dem Kabinett ohne entsprechende Qualifikation in hohe Verwaltungspositionen zu hieven, was eine Politisierung der Verwaltung nach sich zieht. Der Verwaltungsapparat sollte jedoch völlig unpolitisch besetzt sein und sich rein aus Fachexpert:innen zusammensetzen.
In der Realität versuchen politische Parteien seit jeher – mit unterschiedlicher Intensität – auf den Verwaltungsapparat einzuwirken oder sie via Personalleihe anzustellen, um ihnen ein höheres Gehalt zu ermöglichen. Das hat zur Folge, dass nicht ausreichend qualifizierte Personen in ranghohen Positionen sitzen – und zwar nur, um für die eigene Partei politischen Einfluss auf Verwaltungsprozesse (beispielsweise auf Steuerverfahren) ausüben zu können. Auch hier gilt: Nicht jeder Wechsel vom Kabinett in die Verwaltung ist automatisch eine politische Besetzung. Wenn die Qualifikation stimmt und das Bewerbungsverfahren ordentlich durchgeführt wurde, dann ist daran nichts auszusetzen.
Trick #4: Die interimistische Leitung
Was aber mit politisch gewünschten Personen machen, die Führungspositionen in Verwaltung übernehmen sollen, aber leider keinerlei Qualifikation dafür vorweisen können? Schließlich muss am Papier der gesetzlich vorgesehene Ausschreibungsprozess eingehalten werden.
Um dennoch die politisch gewünschte Person nach dem Bewerbungsverfahren als im „höchsten Ausmaß geeignet“ aufscheinen zu lassen, wird sie vorher mit der vakanten Position interimistisch bestellt. So kann sie Erfahrung sammeln und sich qualifizieren. Denn interimistische Bestellungen bedürfen keines Bewerbungs- oder Ausschreibungsprozesses. Die Ministerin selbst entscheidet freihändig, wen sie als interimistische Leitung installiert. Im Anschluss wird der Posten ausgeschrieben und – oh Wunder! – die Person, die bisher schon die Leitung so hervorragend übernommen hat, bekommt den Job.
Trick #5: Die „unabhängigen“ Wahlkommissionen
Positionen in der Verwaltung, die Abteilungsleiter oder höher sind, müssen zwingend ausgeschrieben werden. Eine rein interne Interessentensuche ist hier nicht mehr möglich. Bei einer Ausschreibung erfährt die Öffentlichkeit von der vakanten Position, sie ist in der Jobbörse der Republik Österreich auffindbar. Anschließend entscheidet eine Auswahl- oder Begutachtungskommission über die Reihung der Bewerber:innen.
Diese Kommissionen zur Bestellung von Positionen in den Ministerien bestehen grundsätzlich aus vier entscheidungsberechtigten Personen und einer Person aus der Gleichbehandlungskommission, die mangels Stimmrechts aber zu vernachlässigen ist. Von den vier Entscheidungsberechtigten kommen zwei aus der Personalvertretung, die anderen beiden – darunter der Vorsitzende der Auswahlkommission – werden direkt von der Ministerin ausgewählt. Dem Vorsitzenden kommt ein Dirimierungsrecht zu: Das bedeutet, dass bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden ausschlaggebend ist.
Dieses System hat für Minister:innen den Vorteil, dass sie sich hinter einer „unabhängigen“ Kommission verstecken können, indem sie immer auf die Entscheidung der Kommission verweisen können, auf die sie selbst keinen Einfluss haben. Das stimmt auch, denn direkt können Minister:innen keinen Einfluss geltend machen. Aber indirekt, über zum Teil korrumpierbare und von ihnen geschaffene Systeme, gelingt es dennoch, politische Einflussnahme zu üben. Denn bei Mitgliedern der Begutachtungskommissionen bestehen – auch wenn sie für ihre Tätigkeit in dieser (formell) weisungsfrei gestellt sind – Abhängigkeitsverhältnisse, da sie in ihrem „Brotberuf“ in die Linie des Ministeriums eingegliedert sind.
Sie sind einerseits vom Wohlwollen hierarchisch übergeordneter Personen abhängig – um kein schlechtes „Standing“ gegenüber den eigenen Chefs zu erfahren, ist es aus karrieretaktischen Gründen klüger, den im ganzen Ministerium bereits kolportierten Namen nach vorne zu reihen. Andererseits sind sie ebenfalls von Beamtenkolleg:innen abhängig, die selbst einmal eine Begutachtungskommission bekleiden könnten, in der man selbst als Bewerber:in auftritt. Dieses gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis begünstigt in den „unabhängigen“ Begutachtungskommissionen ein Klima, in dem es für die eigene Karriere zuträglicher ist, die von Kabinett und Minister:in gewünschten Kandidat:innen als am besten geeignet zu reihen, als eine Reihung strikt nach Qualifikation vorzunehmen.
Trick #6: Bei der Ausbildung ansetzen
Für ausgeschriebene Positionen müssen immer auch die notwendigen Qualifikationen aufgelistet werden. So wissen Bewerber:innen schon vorab, ob sie diese erfüllen können und ob sie daher eine realistische Chance auf den Job haben. Die angeführten Qualifikationen in einer Ausschreibung können ein weiterer Trick sein: um an der erforderlichen Ausbildung, durch welche die Qualifikation zu erlangen ist, überhaupt teilnehmen zu können, braucht es einen Ausbildungsplatz.
Diese sind meistens stark begrenzt und heiß begehrt, da Ausbildungskosten zumeist vom Ministerium bezahlt werden und sie für die Karriereleiter unverzichtbar sind. Auswahlverfahren für Ausbildungsplätze finden oft nicht transparent statt und sind Einfallstor für politische Interventionen. Durch das Verengen des Flaschenhalses, in dem bei Ausschreibungen Qualifikationen gefordert werden, für die zuvor das Ministerium handverlesene und wohlwollende Personen auf Ausbildungsplätze gesetzt wurden, wird Postenkorruption betrieben.
Postenschacher schadet uns allen
Die Liste an Tricks ließe sich noch um viele Zeilen fortführen, doch die angeführten sind bei weitem die effizientesten und am häufigsten angewendeten. Viele unserer parlamentarischen Anfragen sollen zeigen, dass diese Tricks bereits bekannt sind und dass das längst nicht mehr unbeobachtet passiert.
Dennoch werden tagtäglich hochqualifizierte Beamt:innen frustriert, indem sie bei Postenbesetzungen gegen politisch gewünschte Person den Kürzeren ziehen oder völlig ungeeignete Abteilungs-, Gruppen- oder Sektionschefs vorgesetzt bekommen. Das führt zu einem Verlust an Wissen und zu einem schlechteren Service in der Verwaltung. Darunter leidet wiederum die Bevölkerung, die indirekt die Auswirkungen von zu langen Verfahren, rechtswidrigen Verwaltungsentscheidungen und einem zu teuren Verwaltungsapparat zu spüren bekommt.