Das österreichische Antlitz der Korruption
„Ein triumphierender Ölgötze der befriedigten Gemütlichkeit, der ,Mir-san-mir‘ heißt“ – in „Die letzten Tage der Menschheit“ beschreibt Karl Kraus mit diesen bitteren Worten das österreichische Antlitz.
Kraus, der Humanist und beißende Beobachter der österreichischen Gesellschaft im Fin de Siècle und bis in die 1930er Jahre beschreibt in diesem Stück den Ersten Weltkrieg, die großen und kleinen Bösartigkeiten und Sadismen einer Zeit, „da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit spielten“. An Operettenfiguren wurde man in den letzten Jahren auch öfters erinnert, wenn es um das Verhalten von Politiker:innen ging, die in Korruptionsfälle verstrickt wurden. Was in Chats, Nachrichten und Absprachen an die Öffentlichkeit kam – eine selbstgefällige Überheblichkeit, die das „Mir-san-mir“ auf den eigenen engsten Kreis reduzierte.
Kraus verarbeitete in den letzten Tagen der Menschheit einen Zivilisationsbruch. Die Korruption unserer Zeit ist nicht so ein kataklysmisches Ereignis, doch sie hat das Potenzial, das Vertrauen in das politische System zu zerschlagen, wenn sie nicht ernsthaft bekämpft wird. Wenn Normen und Regeln der Gesellschaft erodieren, leiden am Ende die Menschen – das lehrt und mahnt uns die Geschichte, davor warnen die letzten Tage der Menschheit.
Das schlampige Verhältnis Österreichs zu Regeln und das Es-sich-richten machen diese Bemühungen nicht leichter. Die Gemütlichkeit, die so gerne als Teil der hiesigen Identität genannt wird, ist nur eine Seite der Medaille, das Sich-nicht-an-die-Regeln-Halten, die Verbrüderung und Freunderlwirtschaft, gehören auch dazu. Wie kann es sonst sein, dass in Österreich die Korruption seit Jahrzehnten bestenfalls mit halbherzigen Regeln bekämpft wird, oder dass aktuell die Rufe nach dem Ende des Amtsgeheimnisses unter anderem mit der Sorge über den höheren Arbeitsaufwand für Ämter und Behörden torpediert werden?
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
„Wo kämen wir denn hin, wenn jede:r Bürger:in Informationen von uns haben wollen würde?“ – ein Argument, das auch von den Hofrät:innen in den letzten Tagen der Menschheit stammen könnte. Es wäre höchst an der Zeit, dass etwas getan wird, dass die aktuellen Korruptionsfälle nicht mit „war immer schon so“ abgetan werden. Denn auch im internationalen Korruptionsindex, der jährlich von der NGO Transparency International erarbeitet wird, rutscht Österreich aktuell ab. Postenschacher, Freunderlwirtschaft und Ämterpatronage, Druck auf Kontrollorgane wie Justiz und Medien, Gesetzeskauf, intransparente Parteienfinanzierung, Misswirtschaft, Beschaffungs-, Privatisierungs- und Bankenskandale: All das kostet uns jährlich Milliarden Euro an Steuergeld.
Ein saubereres Antlitz
Wie viele Menschen das nicht mehr hinnehmen wollen, hat das Antikorruptionsvolksbegehren im Mai dieses Jahres bewiesen: Mehr als 307.000 Unterschriften konnten für die Initiative gesammelt werden, die von Proponent:innen der Zivilgesellschaft gestartet wurde.
Die Forderungen sind simpel, und internationale Beispiele zeigen, wie wirksam sie sind. Die Lücken im bestehenden Korruptionsrecht müssen geschlossen werden, Ausschreibungen und Besetzungen im öffentlichen Bereich müssen ausschließlich in transparenten Verfahren, nach
objektivierbaren Kriterien und unbestrittener fachlicher Eignung erfolgen, eine Bundesstaatsanwaltschaft soll an die Spitze der Staatsanwaltschaften kommen, Auftragsvergaben der öffentlichen Hand müssen transparent geschehen und – auch wenn die Hofrät:innen Österreichs landesweit aufschreien – ein umfassendes Informationsfreiheitsgesetz und damit das Ende des Amtsgeheimnisses.
Zwar hat die Bundesregierung angekündigt, das Volksbegehren zu berücksichtigen, doch konkret umgesetzt wurde noch nichts. Es obliegt der Zivilgesellschaft, nicht lockerzulassen und nicht auf die Selbstheilungskräfte der Politik zu vertrauen. Denn wenn uns die letzten Jahre etwas gezeigt haben, dann, dass Korruption von alleine nicht aufhört. Wenn wir ein saubereres österreichisches Antlitz haben wollen, dann müssen wir selbst zur Seife greifen.