Die Top 10 der schwarz-blauen Korruptionsskandale
Die Korruptionsvorwürfe sind nicht nur kompliziert, sie sind auch zahlreich. Eine Top-10-Liste der schwarz-blauen Korruptionsfälle der jüngeren Vergangenheit soll dabei helfen, einen Eindruck zu bekommen.
Die ÖVP-FPÖ-Regierung beschäftigt die Gerichte. Etwas, was man bisher über jede schwarz-blaue Koalition sagen konnte – denn auch schon die erste unter Wolfgang Schüssel brachte uns Geschichten wie die Eurofighter- oder die Telekom-Affäre. Für viele sind diese aber schon aus dem Gedächtnis verschwunden: Denn die Sebastian-Kurz-Neuauflage von Schwarz-Blau lieferte immer neue Korruptionsskandale.
Ein Problem dabei ist nur, dass solche Geschichten erstens oft kompliziert sind und zweitens oft ineinander übergehen. Daher werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, im folgenden Text zehn Beispiele vorgestellt, die man kennen sollte. Denn nächstes Jahr könnte sich, zumindest laut Wahlumfragen, erneut eine ÖVP-FPÖ-Koalition ausgehen, nur unter anderen Vorzeichen. Und das, obwohl die Ereignisse der letzten Regierung noch nicht aufgearbeitet sind.
1. Ibiza: Der Skandal, der zu Neuwahlen führte
Der eine Skandal, an dem die letzte Auflage von Schwarz-Blau scheiterte: das mittlerweile berühmte Video des Ex-Parteichefs Heinz-Christian Strache im Ruderleiberl auf Ibiza. Dort besprach er mit einer angeblichen russischen Oligarchin unter anderem, sie solle die Kronen Zeitung übernehmen, wo man – zack, zack, zack! – einige Personaländerungen vornehmen werde. Das Kalkül: Du schreibst mich in den Medien hoch, dafür bekommst du öffentliche Gelder. Passieren sollte das am Rechnungshof vorbei über parteinahe Vereine.
„Wenn das Medium zwei, drei Wochen vor der Wahl auf einmal uns pusht, dann hast du recht. Dann machen wir nicht 27, sondern 34 Prozent.“
Heinz-Christian Strache, Ex-FPÖ-Chef
Das Ibiza-Video, das von der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel veröffentlicht wurde, brachte eine Debatte darüber, welche Art von Versprechungen illegal werden sollten. Es führte zu einem neuen Korruptionsstrafrecht – aber durch ein Loophole wäre Ibiza nach wie vor möglich. Strache trat zurück, um die Koalition zu retten. Sein Koalitionspartner, der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz, schielte hingegen auf die absolute Mehrheit und ging in Neuwahlen.
2. Das Beinschab-Österreich-Tool
Interessant ist das „Genug ist genug“ von Sebastian Kurz vor allem deswegen, weil er in der gleichen Zeit sehr ähnliche Methoden angewandt hatte: Mit dem sogenannten Beinschab-Österreich-Tool wurden Umfragen der Meinungsforscherin Sabine Beinschab in der Mediengruppe Österreich platziert, bezahlt von öffentlichen Geldern aus dem Finanzministerium. Dort saß der Sebastian-Kurz-Vertraute Thomas Schmid – und bezahlte damit keine Meinungsforschung im öffentlichen Interesse, sondern parteipolitische Fragen. Diese wurden dann so verzerrt, dass Kurz deutlich beliebter aussah. Auch als der Parteichef der ÖVP noch Reinhold Mitterlehner hieß.
„So weit wie wir bin ich echt noch nicht gegangen. Geniales Investment. Und Fellner ist ein Kapitalist. Wer zahlt, schafft an. Ich liebe das.“
Thomas Schmid in Chatprotokollen an Sebastian Kurz
Während Strache auf Ibiza nur darüber redete – „Geld gegen Meinungsmache“ –, erzeugen die Chats von Thomas Schmid den Eindruck, dass genau das schon im Nationalratswahlkampf 2017 von der ÖVP praktiziert wurde. Schmid will mittlerweile Kronzeuge werden und packte einiges an Vorwürfen aus: Das Beinschab-Tool habe er im Auftrag von Sebastian Kurz umgesetzt, und diesem sei auch bewusst gewesen, dass das Geld dafür aus dem Finanzministerium komme. Die Ergebnisse wurden mit der Mediengruppe Österreich im Vorfeld abgestimmt. Als Sebastian Kurz die Neuwahl ausrief, konnte er also nicht ernsthaft schockiert sein.
3. Spesenzahlungen: Woran die FPÖ wirklich scheiterte
Die Nationalratswahl 2019 führte zu einer starken Abwanderung von der FPÖ zur ÖVP, immerhin hatte sich Sebastian Kurz in vielen Politikbereichen an sie angenähert. Was aber wirklich zum schlechten Ergebnis für die Freiheitlichen führte, waren nicht „nur“ Straches Versprechungen auf Ibiza, sondern Enthüllungen über hohe Spesenzahlungen. Über Scheinrechnungen soll sich der FPÖ-Chef ein gutes Leben finanziert haben, auch private Ausgaben wurden von der Partei bezahlt.
„Man hat fremde Rechnungen gebracht. Ich hatte zum Beispiel aufgrund meiner Tätigkeit in der Sicherheitsbranche viel mit Events zu tun und habe geschaut, dass ich Rechnungen sammle. Oder ich habe Freunden gesagt: Bitte schmeißts eure Rechnungen nicht weg, gebt sie mir.“
Oliver Ribarich, früherer Sicherheitsreferent von Strache
4. Wenn Macht für den Wahlkampf genutzt wird
Österreich besteht aber nicht nur aus Korruptionsgeschichten, auch wenn diese Beispiele manchmal den Eindruck erwecken. Im Jahr 2016 etwa, nach dem Wechsel an der SPÖ-Spitze von Werner Faymann zu Christian Kern, wollte die damals rot-schwarze Koalition nach mauen Jahren des Stillstands einen Ausbau der Kinderbetreuung beschließen. Für Kurz, längst seiner eigenen Agenda verpflichtet: „Gar nicht gut!“, wie er in einer Nachricht an Thomas Schmid festhielt. Am Ende wurde die Kinderbetreuung nicht reformiert.
„Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“
Sebastian Kurz an Thomas Schmid zu Reformplänen
Und das ist nicht das einzige Beispiel: 2016 deponierte Kurz-Berater Stefan Steiner im Innenministerium, man müsse ein paar „fremdenrechtliche Knaller“ vorbereiten. Das Asylthema war damals in aller Munde, die ÖVP stand durch Kern in den Umfragen unter Druck. Das zeigt, wie die ÖVP auf Umfragen und Wahlergebnisse schielt und ihre Macht nutzt, um das Agendasetting zu beherrschen. Aber auch die FPÖ nutzte ihre Macht nicht immer verantwortungsvoll – das zeigt das nächste Beispiel.
5. Der kaputte Geheimdienst
Im Frühjahr 2018 gab es eine Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). Diese führte nicht nur zu internationaler Besorgnis über den Zustand der österreichischen Sicherheitsbehörden, sondern auch zur Beschlagnahmung von geheimdienstlichem Material in Form von USB-Sticks, CDs, Telefonen oder PCs. Auch Wissensstand über die rechte Szene soll betroffen sein. Durchgeführt wurde die Hausdurchsuchung übrigens von der Einsatzgruppe zur Bekämpfung von Straßenkriminalität, geleitet von Wolfgang Preiszler – einem FPÖ-Politiker.
„Das Wort Überfall entstammt dem Empfinden der BVT-Beamten. Das Eindringen der Polizei ins Amt, die Einschüchterung der Beamten bei der Razzia, all das hat bei den Betroffenen Spuren hinterlassen. Klar ist heute – und das ist nun aus vielen Dokumenten klar ersichtlich –, das war keine Panne. Die FPÖ hatte die Absicht, „aufzuräumen“, die ÖVP ließ sie gewähren, und die WKStA ließ sich treiben.“
Peter Gridling, Ex-BVT-Chef
Mittlerweile liegt der Eindruck nahe: Die Hausdurchsuchung im BVT war wohl von langer Hand geplant, um es „umzufärben“. Um den schwarzen Machteinfluss im Sicherheitsapparat zu bekämpfen, nahm Kickl in Kauf, dass das internationale Vertrauen in den österreichischen Verfassungsschutz zerstört wurde. Mittlerweile wurde das BVT aufgelöst und zur Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst. Das BMI ist aber nicht mehr im Einflussbereich von Herbert Kickl, sondern wieder dort, wo es davor auch schon lange Jahre war: im schwarzen Einflussbereich.
6. Ein Ministerium als Parteibesitz
Warum wollte Kickl überhaupt im eigenen Haus „aufräumen“? Weil das Innenministerium von der ÖVP als eine Art Kaderschmiede genutzt wird. Die Hälfte der aktuellen schwarzen Regierungsmannschaft hatte Karrierestationen dort, auch andere Parteigrößen wie Johanna Mikl-Leitner oder Günther Platter leiteten früher das BMI. Der Zugriff auf das Haus, das nicht nur für Sicherheits-, sondern auch für Asylfragen zuständig ist, ist für die Volkspartei ein wichtiger Machtfaktor in Koalitionen.
„Das ganze BMI ist seit der Übernahme durch die ÖVP nur eine ausgelagerte Organisation des ÖVP-Klubs gewesen.“
Eine karenzierte Beamtin aus dem BMI
Losgegangen soll das schon unter Ernst Strasser sein, der das Ressort zuerst nach der SPÖ übernahm. Heute wissen wir aus den U-Ausschüssen, wie in Ministerien Posten besetzt werden. Etwa wenn eine Stelle interimistisch übernommen wird, damit die gewünschte Person mit der erlangten Erfahrung zur Bestbesetzung wird. Oder wenn nur das richtige Parteibuch dazu führt, eine Fortbildung zu bekommen, die für den Wunschjob eine Voraussetzung ist. Diese strukturelle Korruption bestimmt die Personalpolitik im Innenministerium – nicht zufällig ist es das Ministerium, das dem Parlament am häufigsten die Auskunft verweigert.
7. Sabotage im U-Ausschuss
Ibiza, BVT und ÖVP-Korruption: In den letzten Jahren haben viele U-Ausschüsse das Parlament beschäftigt. Vieles von dem, was wir heute über korrupte Vorgänge der letzten Jahre wissen, stammt aus diesen U-Ausschüssen. Aber mit der Zeit wurde vor allem die ÖVP immer besser darin, die Befragungen zu manipulieren. Bei der Befragung von Sebastian Kurz etwa wurde auf Zeit gespielt – von seiner eigenen Partei wurden offene Fragen gestellt, auf die der frühere Bundeskanzler lange antworten konnte. So bekamen Oppositionsparteien keine Zeit mehr, um ihre Fragen zu stellen.
Johanna Mikl-Leitner hat im BVT-U-Ausschuss meine Frage nach Postenkorruption im Innenministerium noch normal beantwortet. Im letzten U-Ausschuss hat sie dann aber gefragt: Was ist ein Posten? Was ist Korruption? Das Verhalten der ÖVP war absolut destruktiv.
Stephanie Krisper, NEOS-Abgeordnete
Die Liste an Verzögerungstaktiken ist lang: Geschäftsordnungsdebatten, Streit über die Zulässigkeit von Fragen und mühselige Fragen nach Definitionen rauben der parlamentarischen Kontrolle Zeit. Thomas Schmid wiederum kam in den U-Ausschuss und kündigte an, nichts beantworten zu wollen. Die Folge: eine kleine, verschmerzbare Geldstrafe. Und der frühere Minister Gernot Blümel gab in seiner Befragung 83-mal an, sich nicht zu erinnern. Dass die Vorsitzführung im U-Ausschuss bei Wolfgang Sobotka liegt, ist einer seriösen Aufklärung auch nicht unbedingt förderlich: Er ließ mehrere Fragen aus unzulässigen Gründen nicht zu.
8. Die „Blackbox“ COFAG
Apropos U-Ausschuss: Im nächsten Jahr wird sich einer der COFAG annehmen, der Covid-19-Finanzierungsagentur. Diese GmbH wurde von der Republik gegründet, um Unternehmen schnell ihre Covid-Hilfen auszuzahlen. Was zuerst zu schleppend funktionierte – im ersten Lockdown 2020 musste man lange warten, obwohl man schon zugesperrt hatte – führte in weiterer Folge zu Gießkannen-Politik und zum „Koste es, was es wolle“: Alle bekommen etwas, es gibt wenig Übersicht, und die Inflation wird angefacht.
Besonders brisant ist, dass Covid-Hilfen auch an Parteien geflossen sein sollen: etwa über den Seniorenbund Oberösterreich. Dieser ist Teil der ÖVP und das, was viele als „parteinahen Verein“ bezeichnen – und bezog 2 Millionen Euro aus Covid-Fördertöpfen. Durch die Konstruktion einer GmbH hatte das Parlament kaum Kontrollmöglichkeiten. Wie viel Geld an wen geflossen ist und wer bevorzugt wurde, das soll der U-Ausschuss im nächsten Jahr klären.
„Der Seniorenbund versucht hier eine Flucht aus dem Parteiengesetz.“
Hubert Sickinger, Politikwissenschaftler
9. Interventionsversuche in der Justiz
Eine Causa, die vor allem in letzter Zeit für Aufsehen gesorgt hat: die Aussagen von Christian Pilnacek, dem mittlerweile verstorbenen Sektionschef im Justizministerium. Dieser wurde in einem privaten Setting in einem Wiener Innenstadtlokal aufgenommen und sagte aus, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hätte bei ihm interveniert. In der Causa Ibiza war zuvor der Verdacht laut geworden, dass Pilnacek genau das konnte: der Partei helfen, etwa durch eine Observation des Ibiza-Staatsanwalts oder Handy-Beschlagnahmungen bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.
„In jedem Gespräch sagt der Sobotka: Du hast selber versagt. Du hast es nie abgedreht. Aber das geht nicht, und ich mache es nicht. Wir leben in einem Rechtsstaat.“
Christian Pilnacek, ehem. Sektionsleiter im BMJ
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Justiz zum Gegenstand von Parteipolitik wird. So gibt es auch um die Besetzung der Oberstaatsanwaltschaft Wien Chatprotokolle, die zeigen, wie Eva Marek durch politische Kontakte zu ihrer Position kam. Und laut Medienberichten, die sich auf Chatverläufe berufen, soll auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka eine Liste mit Interventionen haben. Es scheint also in ÖVP-Kreisen normal oder zumindest akzeptiert zu sein, Ermittlungen gegen die eigenen Leute zu behindern.
10. Korruption ist strukturell
Diese Liste ist unvollständig, und doch zeichnet sie ein Bild. Darum kann der einzig würdige letzte Punkt einer Top-10-Liste auch nur sein, auf den strukturellen Charakter der Korruption hinzuweisen. Denn es geht nicht nur darum, was diese Parteien bisher getan haben (oder in vielen Fällen: getan haben sollen). Sondern auch darum, wie sie insgesamt zur Macht stehen, wie sie das Verhältnis zwischen Partei und Staat sehen.
Weder ÖVP noch FPÖ zeigen sich einsichtig, was Korruption angeht. Unter Sebastian Kurz ritt die ÖVP noch wüste Angriffe gegen die Justiz – dort stünden „rote Netzwerke“ hinter den Ermittlungen gegen ihre Parteimitglieder. Und noch heute arbeitet sie mit Nebelgranaten und tut so, als wäre jeder berechtigte Vorwurf eine Schmutzkübelkampagne. Herbert Kickl geht sogar noch einen Schritt weiter: Bei einer Pressekonferenz mit der deutschen AfD-Chefin Alice Weidel wendet er sich explizit an den Verfassungsschutz, der ihn sicherlich beobachte. Eine Vorschau darauf, was passieren kann, wenn Kickl wieder in die Nähe des Einflussbereichs der Geheimdienste kommt.
Für das strukturell korrupte Verhalten gäbe es noch viele Beispiele von fragwürdigen Postenbesetzungen, mangelndem Unrechtsbewusstsein und einem gestörten Verhältnis zu Medien und Öffentlichkeit. Der Eindruck würde sich dadurch aber nur weiter verhärten: ÖVP und FPÖ haben ein Korruptionsproblem. Und es sieht nicht danach aus, als könnte sich das mit dem aktuellen Führungspersonal der Parteien ändern.